Gaza, Entführten, Guy Illouz, Yehudit Shlomo, Krieg, Israel, 7. Oktober

Künstlerin malt Guy Illouz, der in Gaza ist

Guy Illouz ist einer der Opfer, der nach Gaza entführt wurde. Hier ist, wie eine Künstlerin damit umgeht.

Leben einhauchen

Wie fühlt es sich an, jemandem gleichzeitig nah und fern zu sein? Jemanden, den man überhaupt nicht kennt, und sich ihm dennoch verbunden fühlt – wie zu einem Bruder.

Die Künstlerin Yehudit Shlomo aus Ramat Gan kann davon erzählen. Es kam überraschend und unerwartet, doch ging es erst einmal los, gab es kein Zurück mehr.  

Wie viele Menschen in Israel war sie erst tagelang im Schock über den Angriff der Hamas vom 07.Oktober, bei dem auch ein Verwandter ums Leben kam. Ihr Alltag verändert sich: aus Angst vor den Raketen aus Gaza bleiben ihre fünf Kinder zuhause im Fernunterricht, um den einzigen Wohnzimmertisch gequetscht. Für Yehudit bleibt kaum Luft für sich und ihre Arbeit. Aber mit jedem Tag wächst in ihr der Wille, etwas beizutragen. Am kollektiven Schmerz teilzuhaben und durch aktive Taten das Trauma zu überwinden. 

Initiative von Künstlervereinigungen

Eine Initiative zweier Künstlervereinigungen befreit sie schließlich aus der Enge: Die Fotos von 203 in den Gazastreifen entführten Israelis sollen nachgemalt werden. Um das Bewusstsein der Öffentlichkeit für sie zu verstärken. Jedem Künstler wird ein Foto eines Entführten zugeteilt, daraus soll innerhalb weniger Tage ein Porträt enstehen. Yehudit meldet sich an und bekommt das Foto von Guy Illouz, 26 Jahre alt, zugeschickt. 

Sie hat Guy zuvor noch nie gesehen, weiß nicht wo er wohnte, und wie er in die Hände der Hamas kam. Aber beim Anblick des Fotos fühlt sie sich sofort mit ihm verbunden. Es ist jetzt ihre Mission, ihm neues Leben einzuhauchen. Auf dem Weg zum Druckerladen, in den sie eilt um das Foto noch rechtzeitig auszudrucken, fühlt sie den Beistand des Himmels. Der Laden ist kurz vor 18 Uhr noch offen, und als der Besitzer von der Initiative erfährt, besteht er darauf, ihr das Bild kostenlos auszudrucken.

Am nächsten Tag begibt sich die Malerin nach Tel Aviv, wo sich dutzende Künstler am Museumsvorplatz eingefunden haben, um gemeinsam an den Porträts zu arbeiten. Es herrscht eine Stimmung der Einheit, des Zusammenhalts. Auch Verwandte der Entführten sind da, und Menschen, die aus ihren Häusern im Süden wegen der Kriegsgefahr evakuiert wurden. In der Mitte des Platzes steht ein großer Schabbattisch. Er ist für 203 Menschen gedeckt und soll symbolisieren, dass der Platz der Entführten im Kreise ihrer Familien im Moment leer bleibt.  (*Anmerkung der Redaktion: Inzwischen ist die Zahl auf 240 gestiegen).

Yehudit fühlt sich aufgefangen und akzeptiert – obwohl sie hier die Einzige ist, die religiös gekleidet und ein Gebetsbuch in  der Hand hält. Das war nicht immer so in Tel Aviv, der sekulären Hochburg des Landes. Aber jetzt, in den Tagen des Krieges, spielen diese Unterschiede keine Rolle mehr. Alle sind hier, um etwas Gemeinsames zu schaffen. Dafür bleiben nur noch fünf Stunden Zeit, denn das Bild muss am nächsten Tag eingereicht werden.

Wahl des Hintergrunds

Wie gestaltet man den Hintergrund? Auf dem Foto, das Yehudit als Vorlage dient, ist Guy vor einem schneebefleckten Berg zu sehen. Wahrscheinlich auf einer Reise in das Himalaya-Gebirge. Soll sie lieber einen roten Hintergrund wählen, der das Feuer des Krieges symbolisiert? Oder Moscheen, die an Gaza erinnern, wo sich Guy in Gefangenschaft befindet? Nein, entscheidet die Künstlerin, Guy bleibt vor den Schneebergen, in Freiheit – dort wo er hingehört.

Mit jedem Pinselstrich verstärkt sich jetzt ihre Verbindung zu Guy. Sie erkennt in ihm ihren jüdischen Bruder, fühlt sich ihm gleichzeitig nah und fern. Mehrere Male muss sie ihre Arbeit unterbrechen, hält inne und weint. Die Wasserfarben, die sie verwendet, laufen wie Tränen über das Bild. “Guy, komm nach Hause!” fleht sie gen Himmel. Das Malen und das Gebet vermengen sich – bis das Bild entsteht. 

Es wird Teil der Austellung, und soll dann Guys Familie überreicht werden.

Zurück zuhause verfasst Yehudit dazu noch ein Gedicht und ein persönliches Gebet. In den Psalmen findet sie einen Vers mit Guys Namen, der übersetzt „Tal“ bedeutet. „Auch wenn ich gehe im Tale des Todesschattens fürcht ich kein Leid, denn Du bist mir mir. Dein Stab und Deine Stütze – sie trösten mich“, heißt es da.

Guys Name für Gebete: Guy Jaakov Israel ben Levana

Yehudit Shlomos Werke findet man hier

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