Israel, Bibel, Kurzgeschichte, Krieg

Das Gebrumm

Yoav Ben-Ari ist im Jahr 1979 in Israel geboren und in Kirjat-Chaim und Rechowot aufgewachsen. Heute lebt er in Jerusalem und arbeitet in einer Grundschule.

Er hat ein B.A. in Archäologie und ein M.A. in Erziehungsberatung.

Für die Kurzgeschichtensammlung „Alle Venen gehen zum Herz“ (2013) erhielt er den Preis der Kultusministerin. Die folgende Geschichte, die sich in den Stunden nach Davids Sieg über Goliath abspielt, nachdem er ihn – gemäß der Sage – als Siegeszeichen enthauptet hatte – erschien zuerst im Literaturmagazin „Granta“.

David hat Goliath besiegt und geköpft und hält Goliaths Kopf in der Hand…… von Yoav ben-Ari
David mit Goliaths Kopf, Caravaggio, 1606

Das Gebrumm

von Yoav Ben-Ari

Übersetzung: Uri Shani

„Und Der Kopf des Philisters in seiner Hand.“ (Samuel 1, 17, 57)

Als hätte sich ein summendes Gerücht verbreitet, sammelten sich alle Fliegen des Hügels um den Kopf. Da er sich in ständiger Bewegung befand, die mit dem schnellen Gang und dem Rhythmus des Armes, der ihn festhielt, einherging, fiel es den Fliegen schwer, auf dem Kopf zu landen und dort herumzuwandern, und sie stoben öfters in einer schwarzen Wolke empor – und landeten schnell wieder. Aber in der ganzen ungestümen Bewegung und dem rastlosen Brummen schafften sie es doch, ihren Flug und ihre Landung zumeist auf die schmackhaftesten Leckerbissen zu lenken: zum Mund mit den schwülstigen Lippen, die noch etwas von ihrer Feuchte behalten hatten; zu den Nasenhöhlen, in denen das Blut und der Rotz und der Dreck sich zu einem dickflüssigen Schleim vermischt hatten; zu den verkrusteten Augen in ihren Höhlen; und vor allem, natürlich, zum Halsstummel, der die meisten anzog. Das Blut triefte zwar nicht mehr vom Stummel, aber er war doch immer noch frisch fleischig. Auch der Stein, der in der Mitte der Stirn saß und von der Flüssigkeit aus dem Schädel umrandet war, erweckte das Interesse der Fliegen. In ihrem Suchen landeten die Fliegen auch auf Davids Finger, die die Locken des Philisters umfassten, auf seinem Arm, seinem Hals und seinem Gesicht, und sie saugten aus seiner Haut das Salz seines Schweißes.

Davor, als David aus dem Zelt des Königs getreten war, war noch keine Fliege zu sehen gewesen. Er war dort vor dem Zelt gestanden, den riesigen Kopf in seiner Hand neben seinem Oberschenkel, und das Blut triefte noch aus dem Halsstummel und trocknete auf seiner rechten Wade. Das prächtige Schwert des Philisters hatte er in seiner Linken gehalten, lässig an seiner Schulter lehnend. Awner, der Stabschef, und Jehonathan, des Königs Sohn, waren vor ihm aus dem Zelt gekommen, und er hatte ihnen nachgesehen, wie sie sich mit gezückten Schwertern westwärts entfernt hatten, in Richtung der fliehenden Philister, die schon hinter den das Tal umfassenden Hügeln verschwunden waren. Jehonathan hatte zurückgeblickt und einen Moment gezögert und war dann Awner nachgelaufen, der rügend die hintersten Kämpfer angetrieben hatte, diejenigen, die noch im verlassenen Feindeslager und in den Uniformen der toten Philister nach Kriegsbeute gesucht hatten. Die toten Philister lagen da und dort – dunkle Flecken auf dem gelben Gras. Geier versammelten sich am Himmel, und Krähen zerhackten schon die Leiber. Eine der Leichen, die Leiche des Goliat mit der Rüstung, blitzte wie ein riesiger Käfer aus dem Gras. David spürte das Gewicht des Kopfes, den er in der Hand hielt, und die Kraft seines Armes und die Stärke seiner Schultern, wie er sie noch nie verspürt hatte. Israels Sieg, der Sieg von Jehowa Zewaoth, das war sein Sieg. Schaul wusste es, Awner wusste es, Jehonathan wusste es, jeder, der dabei gewesen war, wusste es, sogar seine Brüder wussten es. Er erinnerte sich, wie sich Samuels Hand angefühlt hatte, als dieser sein Haar vor den Augen seiner fassungslosen Brüder und seines Vaters mit dem scharfen Öl gesalbt hatte. Als er vor dem Zelt des Königs gestanden hatte, hatte er ein merkwürdiges, wirres Gemurmel aus Schauls Mund gehört, und als dieser ihn hineingerufen hatte, hatte er ihm befohlen, nicht nach Hause zu gehen, sondern sich dem Generalstab anzuschließen und die Philister zu verfolgen. Aber er hatte Israel den Sieg schon gegeben, er hatte das Seine getan, und sein Vater – der wusste davon noch nichts. Er beschloss, dass sein Vater Goliats Kopf in seinen Händen sehen müsse – und zwar so schnell wie möglich. Als er sich also nach Süden wandte und den Marsch begann, da war vor ihm die erste Fliege erschienen.

Zuerst bemerkte er die Fliegen gar nicht. Sein Schritt auf dem staubigen Weg war sicher und kräftig. Aber je länger er unter der brennenden Nachmittagssonne marschierte, desto lauter wurde das monotone Brummen, und ohne es zu fühlen, übermannte ihn eine Müdigkeit, und das Kitzeln der Fliegen quälte seine trockenen Lippen. Seit er von Bethlehem im Morgengrauen aufgebrochen war, hatte er nichts gegessen oder getrunken. Die Hirtentasche, in der vielleicht noch eine alte getrocknete Feige war, hatte er im Lager gelassen. Die Burschen waren alle rekrutiert worden, die Frauen versteckten sich vor Angst vor den Philistern in den Dörfern – es gab niemanden, von dem man einen Schluck oder eine Rosine erhalten konnte. Und der Kopf war schwer und brummte.

Ein paar Bretter waren lose zusammengelegt, um den Brunnen zu bedecken. Im Spalt zwischen den Brettern stand eine Wespe und schleckte mit der Zange ihres Mundes einen Fühler. Er konnte sehen, wie ihr gelb-schwarz gestreifter Bauch sich im Rhythmus ihres Atems bewegte. Sie verschwand in der Ritze, erschien wieder und flog in Richtung des Philisters Halsstummels. Ihre Schwestern, die um den Brunnen schwirrten und sich an den Tropfen labten, die an den Ritzen zwischen den Brettern hingen, gesellten sich auch zum fleischigen Festgelage. Neben dem Brunnen war eine steinige Erhöhung für die Wasserkrüge und die Schöpfeimer, und ein Loch, das an der Seite des Brunnens gebohrt worden war, diente dem Anbinden des Seils. Als der Philisterkopf den Brunnen berührte, stoben die Insekten – die Fliegen in schnellem Flug, die Wespen in einem neugierigen Schweben – davon, und nach einem brummigen Strudel kamen die meisten zurück, den riesigen Kopf mit schwarzen und gelben Flecken umhüllend, und auch einige grüne Flecken waren da, die wie Smaragde glänzten. David packte die Bretter und warf sie zur Seite. Weit unten sah er das Spiegelbild seines Kopfes, umschlossen vom blauen Himmel.

Als er im Schatten des dürren Feigenbaumes auf dem Boden saß, genug weit vom Kopf des Philisters entfernt, damit die Fliegen ihn nicht störten, trank er gierig aus dem rissigen Eimer, und Spritzer verbreiteten sich auf seinem Kleid. Er blickte dem Philister, der auf seiner Augenhöhe lag, in die Augen. Sie waren halb von seinen Augenlidern und halb vom Fliegenschwarm zugedeckt, aber sie schwollen aus ihren Löchern und sahen schleimig wie Eiweiß aus. Eine grüne, schöne, glänzende Fliege, in der sich ein wenig vom Rot des Kupfers spiegelte, landete auf des Philisters Stirn, auf der sich Blut und Dreck vermischt hatten und zu einem Dreckfleck getrocknet waren. Die Fliege, die Davids Aufmerksamkeit durch den Glanz ihres Panzers auf sich zog, wurde von einer Wespe verscheucht, und mit schnellen Schritten, halb schwebend, erreichte sie über die schwarzen Bartstoppeln auf seiner Wange die Ecke des Mundes, der jetzt trocken und bleich war, und seine Lippen waren wie lüstern hinausgestülpt.

„Hast du auch Durst?“ fragte er Goliat mit ernster Miene und reichte dem Kopf den hölzernen Eimer. Einen Moment schwieg er, als erwartete er eine Antwort – und brach dann in lautes Lachen aus. Er schaute sich um. Keine Menschenseele war da. Um den Brunnen und den großen Feigenbaum sah er einen Olivenhain, und dahinter vergilbte Weideflächen. Der Weg führte hinter den Olivenhain. Auf dem Erdboden lagen Scherben von Krügen, die den Wasserschöpferinnen aus den Händen geglitten waren. Er sah auch Spuren von vielen Schafen, etwa zwei oder drei Tage alt, vor allem rings um die Viehtränke, und menschliche Fußabdrücke eines Kindes. Er trank noch mehr. Und während er trank, vermischte sich in seiner Einbildung der Brunnen mit dem Brunnen bei Bethlehem: Er sah die jungen Frauen, wie sie zum Wasserschöpfen von der Stadt herunterkamen, und ihre Verblüffung angesichts des riesigen Schwertes und des Kopfes auf dem Stein.

David stand auf, ging zum Brunnen und schüttete den Rest des Wassers in den Brunnen. Der Klang des Wassers widerhallte hinauf, und mit ihm kam das Brummen der Wespen. Er warf den Eimer auf den Boden. Jetzt, erfrischt, konnte er noch vor der Nacht Bethlehem erreichen. Und vielleicht würde er in einem der Dörfer auf dem Weg Halt machen und etwas Essbares erbeten. Überhaupt lohnte es sich, in die Dörfer zu gehen. Es war genug, wenn sie ihn in zwei oder drei Dörfern mit dem Kopf sahen, und schon wird sich das Gerücht über den Anblick in ganz Israel und Judäa verbreiten, da war er sich sicher. Er nahm das Schwert. „Steh auf, wir gehen!“ sagte er zum Philister, packte seine Haare, und mit einer wuchtigen Bewegung hob er ihn hoch in die Luft…

„Ah!“ Infolge des Stiches entglitt ihm der Kopf während der weitschweifigen Bewegung, drehte sich in der Luft, umhüllt von einer brummenden Wolke, schlug auf den Brunnenrand auf – und fiel hinein, tief hinunter. Ein feuchter Aufprall war zu hören, und danach nur ein Durcheinander von Brummen. David verschlug es die Sprache. Das Verschwinden des Kopfes war so unerwartet, so unmöglich, dass der Schmerz des Stiches an seiner Hand sein Bewusstsein verließ; nur die Abwesenheit des Kopfes war jetzt da, und das Brummen Brummen Brummen, vom Brunnen widerhallend, zu seiner Öffnung hinaufsteigend und alles bedeckend, Davids Kopf umkränzend wie eine Luftkrone mit gelben, schwarzen und grünen Edelsteinen.

Der Schmerz des Stiches kam zurück. Der Schmerz selber marterte ihn nicht besonders, er hatte schon viel schlimmere Schmerzen erlitten, aber dieser kleine pulsierende Schmerz genügte, um ihn wieder zu Bewusstsein zu bringen. Er blickte sich um. Es war niemand zu sehen. Im grau-blauen Himmel tief unten im Brunnen, neben dem schwarzen Fleck seines eigenen Kopfes, erblickte er den schwarzen Fleck des Philisterkopfes.

Er ließ das Seil hinunter und versuchte, den Kopf mit dem Eimer zu fassen, zog das Seil hinauf und hinunter. Zog hinauf und wieder hinunter. Viele Dutzende Male versuchte er es so. Aber es war schwierig, den Eimer zu lotsen, jede winzige Handbewegung wirbelte den Eimer herum. Und sowieso war der Kopf zu groß für den Eimer, und jedes Mal, wenn er das Seil hinaufzog, war nur Wasser im Eimer. Vielleicht sollte er einfach weggehen? Aber irgendwann würde ein Durstiger kommen und den riesigen Kopf sehen. Und das Gerücht wird sich verbreiten: „David ben Ishai aus Bethlehem – der Brunnenvergifter.“

Wenn der Kopf wenigstens hinuntersinken und das Wasser die Schande überdecken würde. Dann könnte er mit dem Schwert weiterziehen, und niemand würde nach dem Kopf fragen. David versuchte, den Kopf zu ertränken. Er zog am Seil, wartete, dass der Eimer sich über dem Kopf beruhigte und ließ plötzlich los. Der Eimer schlug auf dem Kopf auf, aber dieser schwamm weiterhin auf dem Wasser. Er versuchte es nochmals. Vergebens. Erneut versuchte er, den Kopf einzufangen, zog am Seil und ließ es herunter. Das über dem Brunnenrand gebeugte Stehen, mit den Armen nach vorne gestreckt, und das an den Fingern reibende Seil, das alles war sehr ermüdend. Er wurde nervös, vor allem weil zu dem allem noch das Brummen der Fliegen und der Wespen kam, die von Zeit zu Zeit auf seinen beschäftigten Fingern und auf seinem Gesicht landeten – aber seine vollständige Konzentration schob diese Nervosität beiseite. Und gerade weil er so auf dieses runde Stückchen Himmel unter ihm konzentriert war, wachte er manchmal aus der Verwirrung auf, dass er versucht hatte, das Spiegelbild seines eigenen Kopfes einzufangen. Dann kam ihm er Gedanke: Vielleicht sollte er selber hinabsteigen – aber diese Idee war abstrus, denn es gab ja niemanden, der ihn wieder hinaufziehen konnte, und das Seil war nicht stark genug. Für einen Moment sah er vor sich, wie das Seil zerriss, und er fiel mit dem Stück Seil und dem Eimer, hinunter, sich vom runden Stückchen Himmel über ihm entfernend, schreiend mit den Fliegen in die Tiefe schwebend und unten das runde Stückchen Himmel zerschlagend – bis dieses sich wieder schließen und er sich zwischen dem schwarzen Kopf des
Goliat und seinem eigenen Spiegelbild wiederfinden würde.

Eine Fliege landete auf seiner Stirn.

Er ließ das Seil los und schlug sich hart auf die Stirn. Die Fliege entwich, landete für einen Moment auf seinem Ohr und flog dann in den Brunnen hinunter, das Brummen zurück lassend, das sich mit dem Peitschenknall der Ohrfeige vereinigte, die sich von der Stirn ins Innere des Schädels grub, und mit dem Lärm der Insekten, die ihn wie eine Wolke umgaben. David wurde wild, er wütete, schrie, und da er nichts anderes tun konnte, um den Brand seiner Wut zu löschen, fasste er das Schwert, zog es aus seiner Scheide und wedelte damit gegen die brummende Wolke. Sein Mund schäumte, er schlug mit dem Schwert, hob es wieder, war bereit, sie alle umzubringen, alle, sich an ihnen zu rächen und sie in alle Windrichtungen zu verscheuchen. Das war natürlich sinnlos. Die Wolke der Punkte war elastisch, krümmte und kugelte sich, verbreitete sich und zog sich zusammen, alles in einer unglaublichen Geschwindigkeit, rings um das tobende Schwert.

Der Schmerz des Stiches brachte ihn wieder zu sich selbst. Er lehnte das Schwert an den Brunnen, mit dem Schaft auf dem Boden. An seiner Spitze sah er eine zerdrückte Fliege, ein einzelnes Opfer seiner rasenden Entladung. Er wischte sie mit seinem Finger weg. Schaute sich wieder um. Dann steckte er das Schwert wieder in seine Scheide. Schloss seine Augen. Beruhigte seinen Atem. Konzentrierte sein Bewusstsein darauf, den Mittelpunkt zwischen seinen brummenden Ohren zergehen zu lassen. Öffnete seine Augen.

Er schaute hinunter auf den Himmelkreis tief im Brunnen, sah den Eimer, seinen eigenen Kopf, den Philisterkopf, und das Brummen wurde stärker, hallte wider und umschloss ihn, brummte sich in ihn hinein und brummte hinaus, mit einem leisen Flüstern seiner Lippen: „Jehowa Zewaot, Gott Israels und seiner Kriege – aus den Tiefen meiner Seele rufe ich zu dir. Du hast mir heute den unbeschnittenen Philister in die Hände gegeben, denn er verfluchte die Siege des lebenden Gottes, und seine Leiche hast du den Vögeln im Himmel und den Tieren auf Erden gegeben, und ich habe seinen Kopf von seinem Leib abgeschnitten, damit alle Bewohner dieses Landes wissen sollen, dass Israel einen Gott hat. Und jetzt, bitte, gib mir den Kopf des Philisters, damit ich wisse, dass du mich auserwählt hast, dein Volk Israel anzuführen.“

Er atmete tief. In seinen Nasenhöhlen spürte er die Feuchtigkeit des Brunnens. Er fasste wieder das Seil und bewegte den Eimer, bis er den Kopf des Philisters berührte – und zog. Zu seiner Überraschung war der Eimer schwer. Das war nicht das Gewicht des Wassers. Er zog stärker. Er sah den schwarzen Fleck, wie er stieg, höher und höher, und hörte Wassertropfen hinunterfallen. Der Fleck rieb sich an der inneren Wand des Brunnens, und schon war er da, nur dass er nicht fiele, jetzt war der Kopf schon fast da, siehe da, hier, er ist schon fast….

David packte den Philister bei seinen Ohren und zog so stark, dass auf den Rücken fiel – den Kopf und den Eimer in seinen Händen. Und so, auf der heißen Erde, während der nasse Kopf schwer auf seinem Bauch lag, brach er in befreiendes Lachen aus. Über ihm breitete sich der offene, blaue, warme Himmel aus, und die Sonne, die sich hinter den breiten Feigenblättern versteckte, sandte Strahlen aus, die seine lachenden Augen streichelten. Er setzte sich. Schließlich verstand er, was geschehen war: Goliats nasse Haare hatten sich in einem Holzschnitzel verfangen, das sich von seinem Platz im alten Eimer verschoben und verkrümmt hatte. David hob sein Gesicht zum Himmel und lächelte. Dann befreite er die Haare vom Eimer und drehte das Philistergesicht, das vom Wasser aufgebläht war, zu sich herum. Mit jeder Bewegung des Kopfes stoben die Fliegen und Wespen auf und landeten wieder, stoben auf und landeten, während die Sonnenstrahlen ihre Flügel erstrahlen ließen. Infolge des reinigenden Bades war der Kopf sauber von Blut und Dreck, und seine Schläfen waren blendend weiß. „Wie Schnee bist du erbleicht“, lachte David. Es überfiel ihn der Gedanke, den Kopf aufzuheben und auf seine Lippen zu küssen. Der skurrile Gedanke amüsierte ihn, und er überlegte es sich anders: den Stein in der Stirn küssen. Aber auch diesen Gedanken verwarf er, blickte in Goliats eiweiße Augen und sagte: „Jetzt gehen wir – und ich zeige dich meinem Vater.“ Er lachte wieder, stand mit einem Ruck auf, den Kopf in der Hand, bedeckte den Brunnen mit den Brettern, nahm das Schwert und wandte sich zum Weg.

Da erblickte er die junge Frau.

Sie blickte ihm gerade in die Augen. Auf dem Hintergrund der Olivenbaumstämmen mit ihren verkrümmten Muskeln, in denen sich gewundene Taschen von Dunkelheit versteckten, war ihr Körper schlank und gerade, in einem weiß-grauen, zerschlissenen Kleid, das wie ein Sack auf ihr lag. Es war klar, dass sie eine junge, schlichte Frau aus den Dörfern war – vielleicht eine Sklavin – aber in ihrer Haltung und ihrem Blick war eine sichere Robustheit.

Sie sollte wohl den Olivenhain bewachen. Wie lange stand sie schon da? Ein Schweigen stand zwischen den drei Köpfen. Nur die Fliegen und die Wespen sagten noch das Ihre. David nahm das Schwert von seiner Schulter.    

Der Staub des Weges bedeckte seine Füße mit jedem Schritt. Ein merkwürdiges rhythmisches Brummen war in der Ferne zu hören. Für einen Moment dachte er, er höre das Pochen seines Herzens, aber je länger er ging, desto klarer wurde das Brummen zu einer musikalischen Melodie, und als der Weg um einen Forst herumging, und ein kleines Dorf über ihm auf einem Hügel von Mandelbäumen sichtbar wurde, verstand er, dass es sich um Frauen handelte, sie zusammen sangen, begleitet von Trommeln. Als er an einer Mauer unter einem grünen Hain, das zum Dorf gehörte, vorbeiging, konnte er die Worte des Refrains erkennen: „Schaul hat Tausende von ihnen geschlagen, und David Zigtausende…“ Zunächst erschreckten ihn die Worte, und er versuchte, sich zu erinnern, ob er den Brunnen bedeckt hatte, aber sodann lächelte er ob seines Schreckens. Seine Schritte nahmen den Rhythmus der Trommeln an, und die Finger seiner Linken spielten im Takt auf Goliats Schwert, das auf seiner Schulter lag. Auch Goliats Kopf machte mit dem Rhythmus mit, pendelte mit musikalischer Leichtigkeit vor- und rückwärts. Das Brummen der Fliegen und Wespen war fast nicht zu hören. Nur wenige verfolgten die Bewegung des Kopfes.

Der Rest blieb zurück, umwucherte in einer großen Wolke den Brunnen. Sie drangen eine nach der andern durch die Ritzen hinein, verließen die Sonne und tauchten brummend hinunter in die Dunkelheit der Tiefe.  

David hat Goliath besiegt und geköpft und hält Goliaths Kopf in der Hand…… von Yoav ben-Ari

Uri Shani ist in der Schweiz geboren und lebt seit 35 Jahren in Israel. Er ist professioneller Übersetzer für Literatur aus dem Hebräischen ins Deutsche. Sein "Übersetzer-Credo" könnt ihr im Link nachlesen:

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Benjamin
Benjamin
3 Jahre

Sehr schoen, eine ganz andere Perspektive auf den Mythos “David und Goliath”, der in Israel immer nach sehr gegenwaertig ist (die Philistiner werden oft als Vorgaenger der Palaestinenser gesehen, und militaerische Handlungen werden als Kampf gegen viel maechtigere General gerechtfertigt). Wie sieht der Autor die Gegenwaertigkeit des “David vs Goliath”-Mythos in Israel?

Es ist auch interessant, diese Geschichte mit der von Samson zu vergleichen – auch er kaempfte gegen die Philister, auch bei ihm spielten Insekten eine Rolle (Bienen siedelten sich auf dem Bart eines Löwen an, den er erledigt hatte – und produzierten Honig, den Samson genoss – מאז יצא מתוק), der Kopf spielte eine wichtige Rolle (seine Haare gaben ihm Kraft), aber im Gegensatz zu David opferte Samson sein Leben, um in einer Art Selbstmordattentat mit den Philistern gemeinsam zu sterben. Wie sieht der Autor diese beiden Mythen im Vergleich?

Dann noch fröhliche Feiertage, egal ob Ramadan, Ostern oder Pessach!

Patrick Loeb
Patrick Loeb
3 Jahre

Ein wunderbarer Text mit einem spannenden Blick auf diese mythische Geschichte. Ich bin begeistert über die literarische Qualität der Übersetzung!

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