Gil Hovav, israelischer Schriftsteller, Fernsehmoderator und Verleger, ist 1962 in Jerusalem geboren. Er ist ein Urenkel von Elieser ben Jehuda, der die hebräische Sprache „wiederbelebt“ hat und Sohn von Drora und Moshe Hovav, die das Radio in Israel gegründet haben. Hovav (das ist die englische Schreibweise, auf deutsch „Chowaw“ ausgesprochen) hat einen Roman, drei Kurzgeschichtensammlungen („die Jerusalemer Trilogie“) und mehr als zehn Kochbücher publiziert. Außerdem schrieb, produzierte und moderierte er viele Fernsehserien.
In den drei Büchern der „Jerusalemer Trilogie“, die während zwanzig Jahren erschienen, Bestseller waren und auf Englisch und Chinesisch übersetzt wurden, beschreibt Hovav mit Humor und mit Sehnsucht seine exzentrische Familie und das Jerusalem der Sechziger und Siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts, in den Augen eines tollpatschigen Jungens, der keinerlei Talent in Mathematik hat und von der Familie „das Geschenk, das Gott der Menschheit gegeben hat“ und „der zweite Einstein“ geheißen wird.
Die Namen der Bücher sind: „die Familienküche“, „Süßigkeiten vom Himmel“, und „Vierundzwanzig Türen“. Jede dieser Geschichten endet mit einem einfachen Rezept einer Mahlzeit, die am Familientisch serviert wurde, während die Geschichte sich ereignete. Die folgende Geschichte ist aus dem zweiten Buch der Trilogie. Muma ist die Oma. Senior Delmondo ist der Gott im Himmel.
Ein Morgen mit lachenden Burekas
von Gil Hovav
Übersetzung: Uri Shani
Jeweils am Donnerstag am Morgen, anstatt früh in der Küche zu arbeiten, wie sie es an den anderen Tagen machte, und uns mit dem Lärm der Töpfe und Pfannen und ihrer Klagen in vier Sprachen (hebräisch für uns, marokkanisch für Aischa, der Hausgehilfin, französisch für Herrn Delmondo und Ladino für die Seele) aufzuwecken, blieb Muma in ihrem Zimmer mit ihrem mit Bigoudis geschmückten Kopf, trank ein Glas Wasser mit Zitronengras oder arabischen Kaffee mit Milch. Wenn wir in ihr Zimmer kamen, um ihr „guten Morgen“ zu wünschen, antwortete sie merkwürdig freundlich, spannte uns nicht in irgendeine Plackerei oder Sisyphusarbeit ein – wir sollten nur schleunigst das Haus verlassen und ihr nicht zwischen den Beinen herumlungern.
Versuche, sich krank zu stellen, um zu Hause bleiben zu dürfen, wurden schon im vornherein abgeschnürt: „Fang jetzt nur nicht damit an, dich krank zu stellen“, kommandierte Muma und zog mir den Fieberthermometer, das ich nach gründlicher Planung in ihren Tee gesteckt hatte, damit er 38 Grad anzeige, aus dem Mund. „Heute gehst du in die Schule. Ich kann es nicht aushalten, wenn du im Haus herumzigeunerst, während ich Burekas mache. Ich habe genug unter Bension gelitten, und danach unter deiner Mutter und ihrer nichtsnutzigen Schwester. Jetzt habe ich keine Zeit, dass auch du mir mein Blut aussaugst.“
Auch nachdem sowohl Boni wie ich uns verbittert und verstimmt vom Acker gemacht und ihr versprochen hatten, dass wir wegen ihr an schweren Krankheiten krepieren werden, nahm Muma die Bigoudis nicht vom Kopf, sondern streifte ein riesiges, halbdurchsichtiges und nach Lavendel riechendes Kopftuch darüber, zog sich einen kreischend grünen entsetzlichen Umhang um, den Papa ihr als Geschenk von Marks & Spencer mitgebracht hatte und band sich um die Hüfte eine Schürze mit lustigen Zeichnungen von populären Touristenstätten in Italien. Und so, gerüstet wie ein Kapitän eines Piratenschiffes, stürmte Muma mit einem herzzerreißenden Schrei in die Küche.
Der Schrei war auch an Senior Delmondo gerichtet, der sich sofort davonrettete und hinter den Wolken über Katamon versteckte, und auch an Aischa, der Hausgehilfin, die zu dieser Zeit immer in ihrem üblichen Versteckt weilte – auf dem Boden zwischen den gelben Regalen und dem Topfschrank. Dort machte sie, was sie am liebsten machte: sie trank den medizinischen Brandy, den Mama zuhinterst in den Regalen versteckt hielt.
So begann die Vorbereitung der Burekas, wegen derer sich mit Muma eine der schlimmsten Streite meines Lebens entfachte. Es geschah, als ich sieben Jahre alt war und an einer feierlichen Hongkong-Grippe erkrankte, die mich eine Woche lang im Haus festhielt. Muma, die nur schon der Gedanke erschütterte, „dass dieser kleine Jazpacho [=Flegel] ausgerechnet am Donnerstag zu Hause bleiben sollte“, versuchte meine Mutter zu überzeugen, mich zur Arbeit mitzunehmen, mich in die Schule zu schicken, ins Krankenhaus einzuliefern, mich zur Adoption freizugeben – egal was, Hauptsache ich gehe aus dem Haus, aber sie schaffte es nicht. „Mach was du willst“, sagte Muma finster, „aber wisse: Wenn dieser Floh in die Küche kommen sollte, zerdrücke ich ihn mit eigenen Händen.“
Ich konnte der Versuchung natürlich nicht widerstehen. Ein unerwarteter Besuch von Tante Ada nagelte Muma eine Stunde lang im Wohnzimmer fest, danach überfiel sie ein Wahn, die Teppiche zu reinigen und mit Essig zu bürsten, und ich schlich mich währenddessen in die Küche, knetete den Teig, formte Kreise, füllte sie mit Auberginen und schickte sie schwuppdiwupp in den Ofen. In meiner Fantasie sah ich mich schon als großer Küchenchef am selben Tag, mit ewigem Ruhm beschmückt. Wer mich vom Traumhimmel herunterholte, war Muma, die von der Küchentür brüllte: „A dio santo, was hast du gemacht!!!“
„Burekas!“, antwortete ich mit stolzem Lächeln. „Ich habe Burekas gemacht.“
„Du hast gar nichts dergleichen gemacht“, sagte Muma, aber sie wusste, dass ich es tat. Es genügte ein Blick auf den gelben Tisch, damit sie den Umfang der Katastrophe sehen konnte: Wenn sie Burekas machte, kamen alle ganz genau gleich groß heraus, geschlossen, golden und aufgebläht. Meine Burekas waren zum Teil verbrannt, andere waren noch bleich wie ein aschkenasischer Jeschiwe-Bocher, und alle, ohne Ausnahme, hatten sich geöffnet.
Das ist das Schlimmste, was den Burekas zustoßen kann: Dass sie nicht genug zugedrückt sind und sich öffnen. Ein Skandal für die Hausfrau, eine Schande für die Sepharden. „Was hast du gemacht, du Pharao!!!“ schmetterte Muma. „Habe ich dir nicht immer wieder hundertfach eingetrichtert, du sollst dich nicht mit Dingen beschäftigen, von denen du nichts verstehst? Schau, schau, wie die Burekas ihre Mäuler geöffnet haben!“
Ich wollte etwas erwidern, aber es war zwecklos. Hundert Burekas lächelten mich mit offenen und bösen Schnauzen an. Ich wollte abhauen, aber es gab keinen Weg. Muma stand wütend und gebieterisch am Eingang der Küche, eine Hand am Türrahmen, die andere auf ihrem Herzen. „Dieser Bengel saugt mir mein Blut aus!“, zürnte sie gegen Senior Delmondo, der über Katamon schwebte. „Ist es nicht genug, dass du mir Bension weggenommen hast? Sind nicht diese Ehemänner genug, die du meinen Töchtern gegeben hast? Was willst du noch von mir?! Ma vai morir!“
Ich hatte keine Wahl – ich brach in Tränen aus. Das funktionierte immer. Muma erweichte an Ort und Stelle und begann, mich zu trösten. „Na komm, genug, mein codillo“, sagte sie. „Genug. Du wirst mir mein Herz nicht noch mehr brechen, als du schon getan. Genug, die Burekas sind gar nicht wichtig. Weine nicht. Bedrücke nicht den Senior Delmondo.“
„Aber sie haben ihre Münder geöffnet!“ weinte ich und schaute entsetzt auf den Tisch. Ich dachte sogar, einen Moment lang, dass einige von ihnen mir die Zunge herausstreckten.
„Dann haben sie sich halt geöffnet. Non canino. Sollen sie doch. Uns macht man damit keinen Eindruck.“
„Sie lachen mich aus“, weinte ich immer noch, und ich dachte: ‚Das wars, jetzt lachen mich nicht nur die Kinder in der Schule aus, sogar die Burekas lachen mich aus‘, und Muma, die schon ganz auf meiner Seite war im Kampf gegen die Burekas, zückte ein zerknittertes Kleenex aus dem Versteck am Ende ihres Ärmels, wischte meine Tränen weg, und auch ein paar der ihren, und sagte: „Genug, mein codillo, du hast da was nicht verstanden. Schau auf die Burekas. Schau sie an! Sie lächeln! Sie sind glücklich, dass sie die Ehre hatten, dass ein Prinz wie du sie heute zubereitet hat und nicht ich. Sieh sie dir an, Omri – ich schwörs dir, sie lachen vor lauter Glück.“
So sagte meine Großmutter und umarmte ihren Zwergprinzen ganz feste, und ich, der Dumme und Glückliche, hörte zu weinen auf und lächelte sie und die Burekas an. Muma, die wusste, dass am Schabbat Besuch kommen würde und sie jetzt zwei schlaflose Nächte erwarteten, in denen sie eine Notportion von griesgrämigen Burekas, die ihren Mund zusammengepresst hielten, produzieren musste, streichelte meinen Kopf und sagte: „Sehr schön, codillo, so ist es besser. Du hast wunderbare Burekas gemacht. Fertig. Nicht mehr weinen. Fix und fertig.“
Sie bedeckte meine Augen mit einer Hand, drückte eins meiner Ohren an ihre italienische Schürze, und das zweite bedeckte sie mit ihrer anderen Hand, und erst dann blickte sie aus dem Fenster zu den Wolken über Katamon und flüsterte: „Aber mit dir hab ich noch nicht abgerechnet. Warte nur, wenn ich die Teppiche fertig habe, mache ich die Rechnung mit dir fertig.“
Burekas, mit Auberginen gefüllt
Zutaten:
Dreieinhalb Gläser Mehl
200 gr Margarine
Zwei Esslöffel Essig
Ein Becher Joghurt
Ein Teelöffel Salz
Zur Füllung:
Zwei große Auberginen
250 gr zerriebenen Zfat-Käse [in deutschsprachigen Ländern kann man diesen mit einem anderen halbharten weißen Ziegen- oder Schafskäse ersetzen. U.S.]
Ein Ei
Pfeffer und Salz
Für die das Bestreichen:
Ein Eigelb mit zwei Esslöffel Wasser
Sesamkörner
Zubereitung:
- Du bereitest den Teig einen Tag im Voraus vor. Du mischst alle Zutaten zu einem glatten Teig, machst daraus eine große Kugel, legst sie auf einen flachen Teller, bedeckst sie mit einer Nylonfolie und lässt den Teig eine Nacht lang im Kühlschrank.
- Am nächsten Tag nimmst du den Teig aus dem Kühlschrank und lässt ihn sich auf Zimmertemperatur erwärmen (sonst kannst du ihn nicht kneten und ausrollen).
- Inzwischen röstest du die Auberginen auf dem Gasherd oder im Ofen, bis die Haut schwarz wird. Du schälst sie, zerdrückst sie mit einer Gabel (hüte dich davor, es mit dem Mixer zu tun!) vermischst sie mit dem Käse. Dann gibst du das Ei, das Salz und den Pfeffer hinzu, und mischst alles.
- Du teilst den Teig in drei Kugeln ein. Jede Kugel rollst du zu einem etwa 2-mm dicken Blatt aus und schneidest mit Hilfe eines Glases Kreise daraus. Dann sammelst du, was geblieben ist, rollst es wieder aus und machst dasselbe, bis du den ganzen Teig benutzt hast.
- In jeden Kreis legst du einen gefüllten Teelöffel der Füllung. Du befeuchtest einen Finger in einem Glas Wasser und befeuchtest damit den Rand des Kreises. Dann legst du die Kreise zu Halbmonden zusammen und schließt sie fest mit der Gabel zu. Die Halbmonde legst du auf ein mit Backpapier bedecktes Ofenblech. Du brauchst mehr als ein Ofenblech.
- Du betupfst die Burekas mit dem Eigelb und darüber die Sesamkörner. Dann backst du die Burekas auf 180 Grad Celsius etwa eine halbe Stunde, bis sie goldig werden.
Es laeuft einem das Wasser im Munde zusammen! Gil Hovav ist super! Er hatte mal eine Fernsehsendung zu den besten Mahlzeiten der Literatur (also in Buechern beschrieben), leider nur auf Hebraeisch zu finden. Auf Englisch hat er hier einen Vortrag zur Hebraeischen Sprache und Essen gehalten: https://m.youtube.com/watch?v=AgDJFtWtKv4
Und hier noch ein Link (Interview mit Gil Hovav): https://m.youtube.com/watch?v=RSkH3XjBBg4
ich liebe diese Art von Geschichten! und bin dabei so ähnliche zu schreiben.
Es gibt auch eine italienische Schriftstellerin Clara Sereni, die diese Art von Geschichten mit Rezept geschrieben hat. Casalinghitudine heißt das Buch, und leider noch kein Verlag in Dt. für meine Übersetzung.