Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama
Der Roman schildert die schmerzliche Liebesbeziehung zwischen einem Mann und einer Frau der „dritten Generation“, dem Deutschen Helmut und der Israelin Elamar. Die beiden begeben sich auf die Suche nach einem wertvollen Gemälde, das durch die Nationalsozialisten von Elamars Großvater beschlagnahmt und von Helmuts Großvater erworben wurde. Ihr gemeinsames Streben, das geraubte Bild wiederzufinden, überbrückt die sie trennende Kluft. Helmut treibt der Wunsch nach Sühne für das Unrecht seines Großvaters, Elamar wiederum die Hoffnung, dem ihren späte Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen. Im Hintergrund stehen die tragische Gestalt eines bedeutenden expressionistischen Malers, der sich aufrichtig der NS-Ideologie verschrieben hatte und sich von seiner Partei verraten fühlte, und das rätselhafte Gemälde selbst, eigentlicher Protagonist dieses Romans, auf das jede der handelnden Personen ihren eigenen Blick hat.
Es ist eine Geschichte von Liebe, Vergebung und dem Ringen nach Befreiung von der erdrückenden Erblast der Vergangenheit. Vor allem jedoch geht es um den Drang Elamars, ihre verdrängte Kreativität und Weiblichkeit wiederzuerwecken.
Ela Moskovits Weiss ist eine israelische Prosa- und Theaterautorin. Dies ist ihr sechstes Buch.
1
Er sprach Englisch mit seltsamem Akzent.
„Falsche Nummer“, murmelte sie vorsichtshalber, doch als er den Namen ihres Großvaters nannte, unterbrach sie ihn: „Wie heißt du nochmal?“
„Helmut… Bitte, ich fliege heute Abend zurück, danach geht es nicht. Nur eine halbe Stunde von deiner Zeit, du wirst es nicht bereuen.“
„Eine halbe Stunde“, sagte sie, „keine Minute länger.“
Auf der Fahrt sah sie, wie die Bäume des Boulevards sich im starken Wind bogen. Eine junge Mutter zog ihrem Baby in der Trage die Wollmütze fester. Die Windschutzscheibe beschlug, sie stellte die Heizung höher.
Im Café blickten zu viele Augenpaare. Er stand zu ihrer Begrüßung auf, ehe ihr einfiel, dass sie nicht nach seinem Aussehen gefragt hatte, ehe sie kehrtmachen und flüchten konnte.
Mittelgroß. Unsicherer, etwas schwankender Gang. Die vollen Lippen an den Winkeln leicht herabgezogen. Grauer Kaschmirpullover. Etwa in ihrem Alter.
Und als sähe sie nicht, dass er ihr die Hand hinstreckte, zog sie umständlich ihre schwarze Jacke aus, hängte sie über die Stuhllehne und setzte sich rasch.
„Danke, dass du gekommen bist.“
Sie nickte lässig und betrachtete die Bilder an den Wänden.
Eine Kellnerin in schwarzer Kleidung mit dem Logo des Cafés nahm die Bestellung auf.
„Hübsche Stadt, Tel Aviv.“
„Ja.“
„Wie Berlin, aber mit Strand“, sagte er lächelnd.
„Weiß nicht, war nie dort.“ Sie wartete darauf, dass er redete. Am Telefon war es leichter. Einem leibhaftigen Mann gegenüber verkrampfte sich ihr Körper zusehends.
Ihr fiel auf, dass er sie nur dann ansah, wenn er meinte, sie merke es nicht. Das beruhigte sie. Sein Gesicht war gerötet, als hätte er vor dem Treffen mit ihr ein paar Biere gehoben. Das täten sie dort in Deutschland, hatte man ihr erzählt, Bier aus Riesengläsern trinken und mit lärmender Stimme reden. Dann bekämen sie rote Gesichter und würden Marschlieder aus jenen guten alten Zeiten grölen.
Die Kellnerin stellte Cappuccino für sie und Espresso und Käsekuchen für ihn auf den Tisch.
Er hob die Tasse mit weiblicher Geste. Sah nicht aus, als hätte er es eilig.
„Wann geht dein Flug?“
„Ach… der ist aufgeschoben. Das heißt, ich habe ihn verschoben, hab hier noch einige Dinge zu erledigen.“
Er trank seinen Espresso in zwei Schlucken, erzählte, er sei vor vier Tagen eingetroffen, man habe ihn zu einem Kongress über den zeitgenössischen deutschen Film an der Universität eingeladen. Er drehe Dokumentarfilme.
„Entschuldige, dass ich in Eile bin, aber… Was wolltest du mir über meinen Großvater erzählen?“
Er blickte angestrengt auf seine Finger. „Ich meine, es gab eine Verbindung zwischen den beiden.“
„Zwischen wem?“
„Zwischen deinem und meinem Großvater.“
Ihre Lider wurden schwer, wie vorm Einschlafen. „Verbindung? Was für eine Verbindung, wann?“
„Ich bin nicht sicher“, sagte er, „aber wenn dein Großvater Elrik Berliner hieß, dann… ja.“
Sie nahm den Teelöffel und spielte mit dem weißen Schaum. Der Name ihres geliebten Opas, mit seinem Akzent ausgesprochen, hörte sich wie der Name eines anderen Großvaters an.
„Wie kommst du darauf? Mein Großvater war ein Holocaust-Überlebender. Es kann nicht sein.“
Er senkte den Blick.
„War dein Großvater Offizier in den Lagern?“
„Nein, nein, das nicht… Er war nur Parteimitglied, aber… nicht so aktiv.“
„Gut, das ist ja einigermaßen beruhigend.“
Ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht.
Die Kellnerin fragte, ob sie noch etwas wünschten.
„Ich hing sehr an ihm, als ich klein war“, sagte er und tippte fast unmerklich mit dem Zeigefinger auf den Tisch. Dann steht er offenbar auch unter Druck, vermerkte sie insgeheim. Sie bemühte sich, höflich zu sein, sah aber erneut auf die Uhr.
Er sagte etwas über seinen Sohn und dass sie sich vor seiner Abreise furchtbar gestritten hatten.
Warum erzählt er ihr das? Meint er, das würde sie erweichen? Sie glaubt ihm doch ohnehin kein Wort.
„Ich weiß nicht, warum ich dir das erzähle…“ Sein Englisch war perfekt, und fast gewöhnte sie sich schon an seinen Akzent, aber nicht an seine Augen. Eine vielschichtige Farbe. Die Farbe dickflüssigen Öls, nicht trüben Wassers, soviel stand fest.
Einem ungeübten Kellner fiel ein Teller zu Boden, was sie aufschrecken ließ.
„Hat dein Großvater einmal den Namen Alfred Pfefferkorn, den Namen meines Großvaters, erwähnt?“
Das wollte er also? Hatte er deswegen den ganzen Wirbel veranstaltet, nur um zu erfahren, was ihr Großvater über seinen Großvater gesagt hatte?
„Nein, ganz sicher nicht. Du musst dich doch geirrt haben.“
Der Kellner las die Scherben auf. Sie begriff, dass bald der Moment kommen würde, in dem ihre Augen sich treffen müssten.
„Ich gebe dir Zeit zum Erinnern.“
Ihr Kaffee war schon kalt. „Du hörst dich an wie ein Kriminalbeamter beim Verhör.“
„Er lächelte: „Anscheinend gibt es etwas aufzuklären…“
„Ich glaube nicht, dass ich Ihnen behilflich sein kann, Herr Helmut“, sagte sie lächelnd und in nachsichtigem Ton. „Mein Großvater ist längst tot. Und ich beschäftige mich nicht mit der Vergangenheit.“
„Und mit der Gegenwart?“ Er sagte das genau, als der Heizpilz angeschaltet wurde.
„Was?“
„Beschäftigst du dich mit der Gegenwart?“
Sie schloss die Augen, und als sie sie wieder aufschlug, kam es ihr in dem fahlen Licht vor, als sei er aus Plastik.
„Ich muss gehen.“ Sie stand auf.
„Noch einen Moment.“ Seine warme Hand bedeckte plötzlich ihre Hand. Sie zog sie erschrocken zurück.
„Verzeihung, fast hätte ich es vergessen, ich habe dir etwas mitgebracht.“
Sie zögerte.
Sie blickten einander an.
„Nimm“, sagte er, „das wird deinem Gedächtnis nachhelfen.“