Einmal die Woche stellen wir einen Artikel aus der hebräischen Presse vor. Dieses Mal ein Bericht des Wirtschaftsmagazins Globes, das in einer Reportageserie kleine Geschäfte porträtiert. In diesem Artikel werden zwei argentinische Geschwister vorgestellt, die einst nach Israel kamen und einen kleinen Tante-Emma-Laden aufmachten.
Ein Tante-Emma-Laden zieht viele Leute und damit auch ihre Geschichten an. Wir stellen zwei argentinische Schwestern vor, die einst aus Buenos Aires nach Israel auswanderten, um ein neues Leben anzufangen.
„Ich habe meinen Mann kennengelernt, als er zu uns in den Laden kam um Empanadas zu kaufen: ein Besuch in einem Lebensmittelgeschäft am Kikar Milano in Tel Aviv.“
Gabriela
Der Tante-Emma-Laden, der eine Nachbarschaft zusammenschweißt
Vor dreißig Jahren nahmen die Schwestern Gabriela und Paula, Olot Chadaschot (Neueinwanderer) aus Argentinien, die kaum Hebräisch konnten, bei der Sochnut (Jewish Agency) einen Kredit auf, um einen kleinen Lebensmittelladen zu eröffnen – und sind seitdem in dem Stadtteil von Tel Aviv, wo ihr Laden steht, ein fester Begriff.
Laden:
Minimarkt “haKikar”, ein Lebensmittelgeschäft am Kikar Milano (Mailänder Platz) in Tel Aviv
Gesprächsteilnehmer:
1. Gabriela Mosley, 52, verheiratet und Mutter von zwei Kindern, lebt in Ramat Hasharon.
2. Paula Winter, 51, in einer Beziehung und Mutter von drei Kindern, lebt in Ramat Gan.
Beide sind seit dreißig Jahren gemeinsam Inhaberin und Geschäftsführerin vom Minimarkt.
Was gibt es in der Kitchenette?
Kaffee und Tee, eine Kaffeemaschine, zudem ein dreieckiger Toaster, der Toasts und Omeletts zaubert
Worüber reden wir?
Was ist der Minimarkt? Ein Tante-Emma-Laden in der Gegend vom Kikar Milano in Tel Aviv, den die Schwestern Gabriela und Paula 1992 eröffnet haben. Im 70 qm kleinen Laden findet man jedes erdenkliche Produkt und die einzigen Mitarbeiter sind nach wie vor die beiden Schwestern.
Anfahrt: Der als „Laden von den argentinischen Schwestern“ bekannte Supermarkt wurde nur zufällig eröffnet.
Neuanfang in Israel
Die zwei Schwestern wanderten nach dem Tod ihres Vaters aus Buenos Aires nach Israel ein. „Wir kamen zuerst nach Aschkelon, als wir um die 20 Jahre alt waren“, sagt Gabriela. „Und wir brauchten zwei Monate, um Aschkelon wieder zu verlassen.“
„Unsere erste Anstellung fanden wir in einem Hummus-Laden in Tel Aviv. Wir wussten nicht einmal, was Hummus ist.“ Danach beschlossen sie, ein Café zu eröffnen: „Wir wollten das Café leiten, während unsere Mama den Kuchen backt.“ Es gab eine 25 Quadratmeter große Fläche am Mailänder Platz zu vermieten. „Während der Renovierungsarbeiten teilte uns ein Nachbar mit, dass es in der Nähe kein Lebensmittelgeschäft gebe, und so sind wir zu der Entscheidung gelangt, einen Tante-Emma-Laden aufzumachen. Und das war’s dann.“
„Wir haben alles gebraucht gekauft – die Kasse, die Kühlschränke. Wir konnten dreißigtausend Schekel in die Eröffnung investieren. Es war das Geld, das uns von der Sochnut geliehen wurde. Heute kostet ein Kühlschrank sechzigtausend Schekel“, sagt Paula.
Und woher kam der Mut, als Neuzuwanderer einen Laden zu eröffnen?
„Das liegt uns im Blut. Es gibt nicht viele Argentinier im Angestelltenverhältnis.“ Sie kannten die israelischen Produkte nicht, lernten aber von ihren Kunden: „Zuerst hatten wir keinen Schimmer von Tnuva, wir haben einfach irgendeine haltbare Milch gekauft.“ Neben der Kasse stellten sie eine Schüssel mit Bonbons auf, „um sie an die Leute zu verteilen, damit sie gute Laune haben. Einige haben uns angeschaut, und uns Erfolg gewünscht, und andere haben sich wohl gedacht, dass diese 20-Jährigen es keine zwei Monate schaffen würden.“
Durchhalten trotz Corona
Die Pandemie erschwerte zuallererst die Zusammenarbeit mit den Lieferanten. „Es gab einige, die nicht mehr liefern konnten, also mussten wir selber anreisen, um die Produkte zu erhalten“, sagt Gabriela. „Ich mag es, zu organisieren, aber manchmal ist es belastend neben der täglichen Arbeit. Es fehlt immer an Mitarbeitern, vor allem seit Corona. Unser ältester Mitarbeiter, der von Anfang an bei uns war, hat aufgehört bei uns zu arbeiten.“ Paula ist die Geduldigere von beiden: „Auch wenn jemand mal nervt, in zwei Minuten ist er sowieso wieder draussen, was kümmert mich das? Schade um meine Gesundheit.“ Die Tage sind voll und stressig. Gabriela „isst und trinkt nicht und geht während ihrer Schicht nicht mal auf die Toilette.“ Paula isst manchmal Toast, während sie an der Kasse steht.
Neben der Kasse standen bis vor einem Jahr stets Empanadas. Die gefüllten Teigtaschen (eine argentinische Spezialität) wurden früher zum Verkauf angeboten und gehörten neben dem argentinischen Akzent zum Markenzeichen des Ladens. Jeden Morgen um sieben brachten die Schwestern ein Tablett mit heißen Empanadas mit, entweder mit Fleisch, Spinat oder Mais gefüllt und in der Regel innerhalb von zwei Stunden weg. „Mama hat uns immer die Empanadas gebacken. Im Alter hat sie Hilfe von einer Freundin in Anspruch genommen, und die Freundin hat die Zubereitung irgendwann übernommen.“ Vor etwa einem Jahr ist dann die Freundin gestorben und die Produktion der täglichen Empanadas wurde eingestellt. „Mama kann es nicht mehr alleine bewältigen, und wir backen nicht. Profitabel waren sie nie, aber halt etwas Besonderes. Niemand macht so einen Teig.“
Ladengeschichten
Etwas Besonderes: Dank des argentinischen Gebäcks lernte Gabriela ihren Mann kennen. „Er kam jeden Morgen, um Empanadas zu kaufen, und eines Tages fragte er, ob ich etwas dagegen hätte, mit ihm einen Kaffee zu trinken. Ich schrieb ihm meine Nummer auf einen Zettel, den er bis heute aufbewahrt.“ Aber es gab auch weniger erfreuliche Ereignisse im Supermarkt: „Einmal hat jemand sein Baby im Kinderwagen bei uns vergessen. Zum Glück wussten wir, wo er wohnt.“
Wenn man neben der Kasse steht, kriegt man vieles mit: „Corona hat Spuren hinterlassen. Einige lassen anschreiben, andere nie. Wir kriegen sie alle zu Gesicht.“
High-Tech und Tante-Emma-Laden: passt das zusammen?
Die Partner der beiden Schwestern sind in der High-Tech Branche tätig. „Wir kommen aus zwei verschiedenen Welten“, sagt Gabriela. „Ich arbeite mit meinen Händen, und er befindet sich in einer Welt, in der Gehälter Zehntausende von Schekel betragen.“
Und die beiden Schwestern blieben bei der Handarbeit: „Wir sind nicht gierig, wir werden keine Ladenkette eröffnen“, sagt Gabriella. Kürzlich haben wir eine Online-Seite für Bestellungen eingerichtet. „Wir haben viele Produkte, und manchmal sind sie für die Kunden schwer zu sehen. Der Laden ist nicht nach den Marketingtheorien eingerichtet. Wir haben mal einen Berater beauftragt, der uns Instruktionen gab, wie man was zu arrangieren hat – aber daraus wurde nichts.“
Weitere Portraits
Den Laden können sie gerne selber besuchen! Wenn sie weitere Interviews und Biographien von Menschen in Israel lesen möchten, dann lesen hier weiter.
Lektorat: Nina Zivy