Das Buch „Wie eine Demonstration“ (Iton 77, 2014) enthält drei Novellen. Jede der drei Novellen enthält wahre Geschichten über junge Israelis in den achtziger Jahren in Tel-Aviv. In allen Geschichten ist die Hauptperson eine Tänzerin im Tanztheater „Inbal“.
Der folgende Auszug ist das erste Kapitel aus der ersten Novelle, „Die Schmuckverkäuferin“. Die Hauptperson verkauft jeden Freitag in der Disengoff-Straße, wo sich die Elite der Kultur und ihre Anhängerschaft treffen, jemenitische Schmuckstücke, die ihr Vater macht. Zu dieser Zeit war die Diskussion in der israelischen Öffentlichkeit sehr heiß, ob die Kultur der Juden aus den arabischen Ländern einen Platz in der israelischen Kultur hat, oder ob sie von der aschkenasischen Hegemonie unterdrückt wird. Die Verkäuferin stellt ein Stück der levantinischen Kultur demonstrativ zu Schau und konfrontiert die Passanten mit ihr.
Die zweite Novelle heißt „Schichtenarbeit“, und sie beschreibt eine Liebesbeziehung zwischen zwei jungen Menschen aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten in Tel-Aviv, kurz vor dem ersten Libanon-Krieg, im Jahr 1982.
In der dritten Novelle „Dorf“ beginnt eine junge Frau aus der Stadt eine Beziehung mit einem jungen Mann vom Land. Sie wollen ein Kind, und deshalb siedelt sie in sein Dorf über.
Ronit Levy Weiss wurde in Jerusalem geboren, schloss Psychologie an der „Bar-Ilan“-Universität“ ab, war Tänzerin im ethnischen Tanztheater „Inbal“, das von Sara Levy Tanai geleitet wurde, lernte Eurythmie in Dornach in der Schweiz und seelische Begleitung am „Schechter“-Institut für jüdische Wissenschaften in Jerusalem. Ronit unterrichtete Tanz mit Poetry an verschiedenen Schulen. Sie publizierte fünf Bücher: „Schlüssel für dreißig Schekel“ (Sifriat Poalim, 1986), „Gedichte von dort“ (Gvanim, 2003), „Mutter und Sohn Kleingeld, Gedichte von hier“ (Beit Eked, 2009), „Wie eine Demonstration“ (Iton 77, 2014), „Im Krieg haben die Kinder nichts zu tun, Kriegstagebuch“ (Iton 77, 2017).
Ronit wohnt in Tel-Aviv-Jaffa.
Im Jahr 1980 wurde in Israel der „Schekel“ als neue Währung eingeführt, und im Jahr 1984 der „Neue Schekel“, der bis heute gültig ist.
Die Schmuckverkäuferin
Tel-Aviv, Disengoff-Straße, 1984
Erste Runde
Es ist Freitag, ich ging zur Disengoff-Straße, um Vaters Schmuckstücke zu verkaufen. Ich machte das als Einkommensergänzung. Ich verkaufte nur zwei Paar Ohrringe. Ein Paar kaufte Chemi, mit dem ich einmal eine romantische Beziehung hatte, er kaufte die Ohrringe für seine Freundin, die mit ihm da war.
Niko, mein WG-Partner, kam mit mir an dieser ersten Runde. Manchmal stand er neben mir, und manchmal spazierte er herum. Auch meine Freundin Bar kam am Schluss. Danach tranken wir zu dritt im Cafe „Kassit“, das noch immer vollgestopft war.
Auf der Straße ereignete sich folgendes:
Ich sah einen jungen Mann, wie er die Straße auf dem Zebrastreifen überquerte, seine Kamera auf mich richtete und geradewegs zu mir herkam; hinter ihm kam eine junge Frau mit einem Hund an der Leine; als er vor mir stand, filmte er. Ich sagte: „Hast du um Erlaubnis gefragt?“ „Du bist Teil der Landschaft“, sagte er. „Menschliche Landschaft muss man um Erlaubnis bitten“, sagte ich.
Der Mann verschwand hinter der Ecke und die Frau mit dem Hund hinter ihm her. Sie lächelte ein kleines Lächeln. Sie waren mir angenehm. Sein wendiges Verschwinden hinter der Ecke.
Ein anderer junger Mann kam und stand neben mir, lehnte sich an das Schaufenster hinter mir.
„Ich wollte dich was fragen.“ „Was?“ „Wie fühlt es sich an, eine Vitrine zu sein?“ „Ich weiß noch nicht, ich muss ein bisschen länger hier sein, damit ich es definieren kann. Warum fragst du?“ „Das erste Mal, dass ich dich sehe. Ich hab dich betrachtet, und du gefällst mir. Interessiert mich zu wissen, wie das Gefühl ist“, sagte er.
„Und wie sieht es aus?“ „Wie eine Verkleidung“, sagte er. „Ja, ich fühle mich verkleidet, aber es ist auch interessant, als säße ich im Kaffee und schaue auf die Passanten“, sagte ich. „Fühlst du dich wie in einem Kaffee?“ „Ja.“
„Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass ich Fragen stelle“, sagte er. „Nein, es macht mir nichts aus, aber du bist jetzt fertig mit den Fragen, nicht wahr?“ „Du gefällst mir.“
Ich hatte das Gefühl, dass er anklebt. „Ich bin nicht zum Verkauf angeboten, der Schmuck ist zum Verkauf angeboten“, sagte ich. „Ich will dich nicht kaufen.“ „Ich weiß. War ja nur zum Spaß.“ „Wie heißt du?“ fragte er.
Ich überlegte mir, was ich antworten solle, wie ich ihm direkt, aber nicht unhöflich sagen sollte, dass ich nicht interessiert sei. Ich zögerte mit der Antwort, da lächelte er und ging.
Ein anderer junger Mann fragte mich, ob ich auch Silberlöffel verkaufen möchte. Ich antwortete verneinend.
Eine schwerfällige Blondine ging vorüber und schaute hin.
„Schalom!“ sagte ich, versuchte sie anzuhalten. „Schalom“, antwortete sie. „Kannst du dich nicht erinnern, woher du mich kennst?“ fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf.
„Von Bar-Ilan“, sagte ich. „Von welchem Teil?“ fragte sie. „Von den ersten drei Jahren“, sagte ich.
Sie nickte und sagte: „Und das ist dabei aus dem Studium herausgekommen, oder ist es das zusätzlich?“
Ich überlegte mir, ob ich in die Details gehen sollte oder nicht und sagte: „Das ist zusätzlich. Willst du was kaufen?“
Sie wollte nicht. Wünschte mir Erfolg und ging.
Viele lobten die besondere Filigran-Arbeit der Schmuckstücke. Einige sagten, dass ich mehr wert sei oder schöner sei als der ganze Schmuck zusammen.
Für die beiden Paar Ohrringe, die ich verkaufte, erhielt ich 1300 Schekel. Wenn ich zwanzig Prozent davon verdiene, dann habe ich 260 Schekel in drei Stunden gemacht. Man könnte sagen, dass Bar, Niko und ich das an diesem Tag zusammen verdient haben. Wenn ich 26 Prozent verdiene, dann habe ich 338 Schekel gemacht, und damit kann ich fast die Getränke in „Kassit“ begleichen, die mich 360 Schekel kosteten. Es war ein angenehmes Gefühl, den Reißverschluss der Tasche mit dem Geld zu öffnen, die Noten rauszunehmen und daraus den Preis abzuzählen. Von Zuhause ging ich mit einer 500-Shekelnote und vier 100-Shekelnoten, und nach dem Verkauf kamen noch drei 500-Shekelnoten hinzu. Es amüsierte mich. Wie hatte doch jener gesagt? Ich sei wie zu Purim verkleidet. So fühlte ich mich, als ich das Geld zückte. Als hätte ich mich als Meir verkleidet, ein Restaurantbesitzer, den ich kenne, oder als jemand anderer, der viel Geld in den Händen hat und es verschwenderisch ausgibt. Zwei bedeutende Dinge waren im Verkauf. Das Eine: Wie ich angezogen war, und das Zweite: die Kommunikation mit den Passanten und mit denen, die sich interessierten und näherkamen.
Ich war mit meinen Schmuckstücken verziert, und auf meiner Brust hing eine Art Choschen wie das eines Hohepriesters, das ich aus Holz gefertigt hatte; eine Platte mit den Schmuckstücken, inklusive den Preisen und auch kleinen Schildern mit wichtiger Information. Die „Verkleidung“ zog die Blicke an. Jeder, der vorüberging, schaute hin. Ich stand da und nahm die Blicke auf und erkannte, wie leicht mir das Stehen fiel. Die meiste Zeit lächelte ich die Leute auch an. Ich betrachtete sie mit nicht weniger Interesse, wie sie mich betrachteten. So fühlte ich mich.
Die Leichtigkeit und die Natürlichkeit, die ich dabei spürte, erklärte ich mir durch mein bisheriges Training auf der Bühne. Ich dachte: Wenn es nötig wäre, könnte ich auch betteln, mit einem Plastikbecher herumstreunen und mit den Münzen klimpern. So wie es jemand anderer in der Straße tat. Ich Hätte auch kein Problem, eine Tanzdarbietung vor aller Augen zu machen.
Da die Schmuckstücke auf dem „Choschen“ befestigt waren und ich nicht besonders hochgewachsen bin, mussten die potentiellen Käufer sich ein wenig bücken und ihr Gesicht meiner Brust nähern, wenn sie die Schmuckstücke von Nahem sehen wollten. Ich konnte Glatzen und Kopfschuppen sehen, und sie konnten meinen Atem spüren. Wenn sich die Frau oder der Mann erhob, standen wir uns unwillkürlich nahe gegenüber, und ich konnte auch seine oder ihre Seele erfassen.
An zwei junge Männer und eine junge Frau erinnere ich mich in diesem Zusammenhang. Die Nähe zu ihnen war mit angenehm. Besonders zum jungen Mann, der Ohrringe kaufte und zur jungen Frau. Ich spürte, wie mein Körper sich entspannt und ich mich ihnen öffnete.
Während der Arbeit in der Disengoff-Straße bemerkte ich Niko fast nicht. Manchmal stand er neben mir, und manchmal nicht. Ich war auf meine Rolle konzentriert.
Sehr schoen! Am Besten sollte man das Buch lesen und danach den Film „Sipurei Tel Aviv“ (Tel Aviv Stories) sich anschauen, der auch aus drei Kurzgeschichten zu Tel Aviv in den 1980er Jahren besteht.
Nebenbei ist die Autorin – wie viele Tel Avivis – eine Zuagroaste, und hat sich die Stadt relativ spaet zur (Wahl-)Heimat gemacht.
Zwei Fragen an die Autorin: ist sie mehr von Jerusalem, der Stadt ihrer Kindheit, oder von Tel Aviv gepraegt? Und ist es einfacher fuer sie, sich in Tanz oder Wort auszudruecken?
Last but not least musste ich mir eine Traene unterdruecken, als ich vom Cassit las – eine von vielen wunderschoenen Cafes Tel Avivs, die es leider nicht mehr gibt…
Antwort der Autorin:
Ich bin mehr von Tel-Aviv inspiriert, da ich in Jafa lebe und Jerusalem besuche ich selten. – Seit ich mich erinnern kann, fiel es mir auch als Kind leichter – und es war befriedigender für mich -, mich mit Worten auszudrücken.