Seit den Zeltprotesten auf dem Rothschild-Boulevard in Tel Aviv (2011) hat sich trotz „sozialen“ Finanzministers für die Wohnungssituation des Durchschnittsbürgers eher verschlimmert als verbessert, insbesondere für die ca. 2 Millionen Israelis, die in Miete leben. Die Lösung könnte von einer sehr unerwarteten Seite kommen – der BDS.
1. „Wie schön sind deine Zelte, Jakob“
Im Sommer 2011 sah es so aus, als ob eine Revolution sich anbahnen würde: Angeführt von Dafni Lief, einer jungen Studentin, die sich die erhöhte Miete ihrer Wohnung nicht mehr leisten konnte, und als Protest in ein Zelt am Rothschild-Boulevard in Tel Aviv zog, füllte sich dieser – und bald das ganze Land – mit Zelten – alle protestierten die hohen Lebenskosten in Israel, und vor allem die horrenden Miet- und Kaufpreise von Wohnungen. Am Höhepunkt der Proteste gingen mehr als eine halbe Millionen Menschen auf die Straße und schrien „HaAm Roze Zedek Hevrati“ (das Volk verlangt soziale Gerechtigkeit).
Seitdem sind sieben Jahre vergangen. Netanjahu ist immer noch an der Macht, die Zelte längst verschwunden, und die Führer der Protestbewegung entweder Politiker geworden, von denen man kaum hört, oder in der Versenkung verschwunden. So sind Itzik Shmuli (damals Vorsitzende des israelischen Studentenverbands) und Stav Shafir – die neben Lief wohl am meisten als Anhänger der Protestbewegung galten, beide der Arbeiterpartei beigetreten, konnten es aber nicht schaffen, eine soziale Agenda voranzutreiben – kein leichtes Anliegen in einem Land, in dem der Likud unter Netanjahu politisch unschlagbar geworden ist, in dem Sicherheit immer Soziales schlägt, und vor allem, in dem die sozialen Unterschichten schon seit Jahrzehnten Likud wählen. Um Yigal Rambam, einen weiterer Anführer der Sozialproteste, ist es in den letzten Jahren sehr ruhig geworden, auch um Dafni Lief. Der Konflikt mit den Palästinensern tat ein Übriges, um – wie so oft – Soziales in den Hintergrund zu schieben.
2. Sozialrechte als Lotterie
Einen Eindruck haben die Sozialproteste dennoch hinterlassen: Sie ermöglichten den Aufsteig einer der wenigen Politiker mit sozialem Bewusstsein, Moshe Kahlon: Bereits vor den Protesten hatte er als Kommunikationsminister die Monopole der Handyfirmen gebrochen, Knebelverträge illegal gemacht und die Preise erheblich gesenkt. Er wurde Finanzminister – und machte sich vor allem durch sein „Mehir LeMishtaken“ (Preis des Hypothekennehmers) bekannt – ein vor allem an junge Paare gerichtetes Programm, bei dem Regierungsgrundstücke in großer Zahl freigegeben werden, und Hypotheken zu erschwinglichen Preisen durch eine Art Lotterie an Bewerber vergeben werden.
3. Politische Mieten
„Mehir LaMishtaken“ ist sicherlich ein löbliches Programm, auch wenn die Effektivität nicht ganz sicher ist (Hypothekenpreise sind mehrfach gesunken, dann aber wieder gestiegen), und man sich fragt, ob eine „Lotterie“ wirklich der ultimative Weg zum Traum des Eigenheimes sein soll.
Das größere Problem ist aber, dass nicht alle Israelis potentielle oder derzeitige Hausbesitzer sind – so leben ca. 2 Millionen (von 9) Israelis in Miete. Und für sie sieht die Situation nicht gut aus: Mieterrechte kennt man hier kaum, dafür Vermieterrechte umso mehr – so muss ein Mieter dem Vermieter meistens zwölf vordatierte Schecks ausstellen, Banksicherheit aufnehmen, Bürgen vorstellen usw. Von Mietrechten wie in Deutschland, Holland oder Österreich, wo – wie kürzlich berichtet – Mietpreise festgesetzt werden können, kann man in Israel nur träumen. Nichts hindert die Vermieter daran, die Mieten mit keiner oder sehr kurzfristiger Vorankündigung zu erhöhen, den Mietvertrag plötzlich zu kündigen, oder – und das ist in vielen Wohngegenden der „Coup de Grace“ für Mieter, sich auf Kurzzeitmieten für Touristen zu spezialisieren, für die dann ca. das Doppelte an Miete verlangt wird. Im Gegensatz zu vielen Städten in Europa gibt es in Israel keine Einschränkung für Kurzzeitmieten wie AirBnB.
„Wir werden nicht als Menschen, sondern als Paragraph in der Vermögensbilanz gesehen“, sagte Dafni Lief kürzlich im Fernsehen, in ihrer neuen Position als Vorsitzende des Mieterverbands. Diese Antwort kam auf die Frage, wie es – sieben Jahre nach den von ihr angeführten Zeltprotesten – sein konnte, dass Mietpreise im ganzen Land so steigen konnten (in Tel Aviv, Haifa und Jerusalem im Durchschnitt um 3%, in Beerscheba sogar um fast 17%).
4. BDS als Helfer in der Not?
Und dann kam die Nachricht. In einer Pressemitteilung teilte AirBnB folgendes mit: “When we applied our decision-making framework, we concluded that we should remove listings in Israeli settlements in the occupied West Bank that are at the core of the dispute between Israelis and Palestinians.” Damit sind Siedlungen der von Israel im Sechs-Tage-Krieg (1967) annektierten Gebiete gemeint, die völkerrechtlich nie anerkannt worden, und von Israel auch nie annektiert wurden, d.h. weder offiziell Teil des israelischen Staates sind, noch Teil eines anderen Staates. Der Protest ließ nicht lange auf sich warten – von Bed&Breakfast-Besitzer in Siedlungen bis zur höchsten politischen Ebene. Israels Tourismusminister Yariv Levin (Likud-Partei) rief Airbnb dazu auf, seine „diskriminierende Entscheidung“ rückgängig zu machen, und Gilad Erdan, Minister für strategische Angelegenheiten, forderte den Boykott des Unternehmens. „Wir rufen alle Unterstützer Israels weltweit dazu auf, nicht mehr mit Airbnb zusammenzuarbeiten“, sagte er am Mittwoch. „Es gibt genügend Mitbewerber, wir brauchen die nicht.“ Der Ton in den Nachrichten klang nach Krieg – gegen BDS und gegen AirBnB.
Für Mietsuchende in Israel ist das vielleicht die ultimative Lösung: Endlich wird es nicht mehr selbstverständlich für Wohnungsbesitzer sein, ihre Wohnungen nur noch für Kurzzeitmieten für horrende Preise an Touristen zu vermieten. Vielleicht werden sie (die Vermieter) doch einsehen, dass die Haut näher als das Hemd ist, und das man lieber den jungen Einwohner seines Landes hilft, statt nur an Profit zu denken.
Fazit
So wie das talmudische Sprichwort sagt, auch falsche Intentionen führen oft an das richtige Ziel. Hoffentlich.