Maurice Tszorf ist Übersetzer, Journalist und Autor und lebt seit 1991 in Israel. Er ist verheiratet und hat eine Tochter.
Die einsame gelbe Glühbirne strahlte gedämpftes Licht in das kleine Zimmer. Hanna stand vor dem körperhohen, fleckigen Spiegel, der in die Tür des alten braunen Kleiderschranks eingelassen war, und betrachtete sich selbst. Durch das leicht geöffnete Fenster drangen aus der von Straßenlampen erleuchteten, regennassen Straße die letzten Musikklänge ihrer Hochzeitsfeier – weinende Geigen, klagende Klarinetten, einfacher Schlagzeugrhythmus, Stimmen im Hintergrund.
Ihre Hand berührte das kalte Glas, dort, so sich ihr Mund spiegelte. Sie drückte ihre vollen Lippen an deren Ebenbild im Spiegel, wo sie einen runden Fleck hinterließen und ihr Atem das Glas beschlug. Ihre großen dunkelbraunen Augen waren geöffnet, die Pupillen weit. Wo geht eigentlich die Nase hin, beim Küssen, fragte sie sich.
Ihr Blick senkte sich zu ihren bloßen Brüsten, klein und rund. Sie berührte sie und stellte sich vor, es wären seine Hände. Dann wanderten ihre Augen weiter zum schwarzen Dreieck, das über ihren fleischigen Schenkeln thronte. Sie versuchte, sich mit seinen Augen zu sehen. Ihr weißer Bauch war rund und füllig. Er fühlt sich weich an, dachte sie. Vielleicht wird er das mögen.
Ihr 25 Jahre alter Bräutigam war noch bei seinen Freunden von der Yeshiva geblieben, die gekommen waren, um seinen Festtag mit ihm zu feiern, ihre schweißnassen Gesichter rot vom schnellen Kreistanz der Männer. Alle waren noch unverheiratet, in ihren Herzen Freude für ihren Freund aber auch Eifersucht ob des Erlebnisses, das ihm bevorstand, in ihren wilden Fantasien erfundene Bilder des Körpers der 24-jährigen Frau, die oben in dem eigens dafür angemieteten Zimmer auf ihn wartete.
Hanna und David kannten sich wenige Monate. Alle ihre Begegnungen hatten, so will es die Tradition, in der Öffentlichkeit stattgefunden, ohne die geringste Berührung. Sie waren gezwungen, sich mit Worten zu begnügen, mit Blicken, zu versuchen, hinter die Augen und die Wörter des Anderen zu sehen, zwischen den Zeilen ihrer Gesten zu lesen. Beide waren nicht mehr jung, nach den Maßstäben ihrer streng religiösen Gemeinschaft. Hannas Verwandte hatten sie fast schon aufgegeben. Dutzende junger Männer und nicht einer, den sie will? Worauf wartet sie? Gelehrte Jungen, einige sogar wohlhabend, wollten ihre Hand, ihren Körper, ihre Zukunft. Doch sie verweigerte sich.
Dann traf sie über einen Heiratsvermittler David und wusste vom ersten Moment an, dass er der Mann war. Warmes, offenes Lächeln, humorvoll und mit einem rollenden, ansteckenden Lachen. Sie lachten viel während ihrer Treffen und es fiel ihnen schwer, ihre Hände bei sich zu behalten. Sie schwieg, während er ihr wortreich seine Pläne erläuterte. Er beschrieb ihr, wie er sich die Familie vorstellte, die sie gemeinsam aufbauen würden, wie viele Kinder sie ihm gebären würde. Sie war vom ersten Moment an verliebt. Ein selbstsicherer junger Mann, Augen in der Farbe lichtdurchströmten Laubes. Seine tiefe Stimme war angenehm, als er ihr vortrug, und sie stellte sich vor, wie sie wohl klingen möge, Liebeswörter flüsternd.
Sie schrak aus ihren Gedanken auf, als sie seine schnellen Schritte auf der knarzenden Treppe hörte. Rasch zog sie sich das lange weiße Nachthemd über, das ihren gesamten Körper bedeckte, wie es sich gehörte, ihr langes schwarzes Haar offen auf ihren Schultern. Sie schlüpfte unter die noch kalte Daunendecke, da klopfte er schon an die Tür. Sie lächelte und sagte nichts. Die Tür öffnete sich, sie spürte, wie ein Schauer über ihre Haut lief. Er trat ein, bückte sich, damit sein breiter, schwarzer Hut nicht den Türrahmen streifte.
Er lächelte ihr verlegen zu, überrascht, sie schon im Bett vorzufinden, bereit, das Gebot zu erfüllen.
Er legte seine Hochzeitskleidung ab. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, Schaufäden – die Uniform der Yeshiva-Schüler.
Plötzlich fühlte sie sich nicht mehr klein und schwach. Sie war durchflutet von einem warmen Gefühl der Sinnlichkeit, des Stolzes, eine Frau zu sein, das Objekt der Begierde dieses gut aussehenden Mannes, ihres Mannes, der sich bereit machte, in ihr Bett zu kommen. Eine Liebesnacht, sicherlich nur die erste von vielen in ihrem Leben.
Er legte sich neben sie und begann, sie zu streicheln, wie es ihm die Rabbiner erklärt hatten.
Erregt von der Berührung seiner Hand schloss sie die Augen, um sie spüren zu können, ihr zu folgen. Die warme Hand eines Anderen, groß auf ihrem Körper. Eine neue, verwirrende, angenehme und unvergessliche Erfahrung. Sie spürte, wie sich die Haut an ihren Brüsten zusammenzog, als die Brustwarzen sich verhärteten, und sie spürte, wie sie feucht wurde. Auch sie verstand, was geschah, auch sie war unterrichtet worden, von Frauen in grauen Kleidern und billigen Perücken, mit ernsten, fast mitleidigen Gesichtszügen.
Hanna war glücklich. Davids Hand glitt über ihre Brüste, seine Finger spielten mit ihren Brustwarzen. Durch ihr Nachthemd hindurch spürte sie an ihrem Bein seine Erektion, fürchtete sich etwas vor dem Eindringen dieses geheimnisvollen Organs in ihren Leib und sehnte sich zugleich danach – nach dem Moment, in dem er die Leere in ihrem Körper und in ihrem Herzen ausfüllen würde.
David schob ihr Nachthemd hoch, legte sich auf sie und drückte ihre Beine auseinander. Ohne ein Wort drang er plötzlich in sie ein, keine Zärtlichkeit, kein Kuss. So hatten es die Rabbiner ihm erklärt. Seid fruchtbar und mehret euch. Der Hochzeitstermin war auf ihren Eisprung gelegt worden, auf dass sie noch in dieser Nacht empfange.
Durch ihren Leib schoss ein stechender Schmerz, der sich mit Davids von schwerem Atem begleiteten, ruckartigen Bewegungen noch verstärkte. Sie schrie auf, doch er ignorierte sie. Eine warme Flüssigkeit lief aus ihr heraus und in ihre Gesäßfalte. Tränen quollen aus ihren zusammengekniffenen Augen. Nach einer Minute, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, vernahm sie ein Stöhnen aus seinem Mund. Sekunden später zog er sein Glied aus ihrem blutenden Leib, verließ das Bett und begab sich ins Badezimmer, ohne sich noch einmal nach ihr umzusehen. Fassungslos und verstört legte sie ihre Hand auf ihr schmerzendes Geschlecht, wo sich ihr Blut mit seiner Samenflüssigkeit vermengte, und brach in Tränen aus. Nie wieder würde sie ihn an sich heranlassen.
Sie zogen in eine kleine Wohnung, die ihnen von beiden Elternpaaren gekauft worden war. 40 qm, zwei Zimmer mit Küche und Bad, ohne Möglichkeit, einander auszuweichen. Drei Wochen waren seit der Hochzeitsnacht vergangen, und seitdem hatte er sie nicht mehr berühren dürfen. David war hilflos, verstand das Verhalten seiner jungen Frau nicht, wagte es aber nicht, sie darauf anzusprechen. Der Rabbiner meinte, er müsse ihr Zeit geben. So seien sie, die Frauen. Manchmal.
Zuhause bemühte sich David, die schweigende Hanna zu besänftigen, ohne den Ursprung ihres stillen Zorns zu kennen. Er half im Haushalt und machte Besorgungen.
Sein sanftes und respektvolles Verhalten gab ihr zu verstehen, dass er trotz allem der Mann war, mit dem sie leben wollte. Ihr Herz öffnete sich. Nach dem Sabbat-Mahl am dritten Freitag nach der Hochzeit, als sie sich schlafen legten, schmiegte Hanna sich an seinen Rücken an, der ihr, wie schon in den vergangenen Nächten, erwartungslos zugewandt war.
Als er seine Hand hob, um sie zu berühren, drückte sie sie sanft zurück und begann ihrerseits, ihn zu streicheln. Ihre Hand wanderte langsam über seine Brust und Schultern. Sie küsste seinen Nacken, streichelte seine Lenden und seinen Bauch, zart, weich und liebevoll. Die ganze Zeit über wagte David nicht, sich zu bewegen. Er spürte Ströme des Genusses, zunehmende Leidenschaft, aber auch innere Ruhe, jede ihrer Berührungen aufnehmend.
Dann führte Hanna seine Hand zu ihrem Schoß hin und ließ ihn ihr Geschlecht und ihre Feuchtigkeit erfühlen.
Sie drehte ihn zu sich und küsste ihn auf die Augen und auf den Mund. Der Kuss, zuerst unbeholfen und verwirrt, endete leidenschaftlich und liebeshungrig. Sie öffnete sich ihm und führte sein Glied in sich hinein, langsam, leise Töne von sich gebend. Sie hob ihm ihr Becken entgegen, wie um ihn willkommen zu heißen. Vorsichtig verlangsamte sie seine Bewegung, bis beide in liebender Umarmung ihren Rhythmus gefunden hatten.
Als es für beide vorbei war, blieb er bei ihr liegen, sein Kopf auf ihrer Brust.
„Verstehst du jetzt?“, flüsterte sie, und diesmal waren es Tränen der Freude und Erleichterung, die über ihre Wangen rollten.
©Maurice Tszorf
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