Araber, Frauen, High-Tech
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تقنية عالية – oder: wie sagt man “High-Tech” auf Arabisch?

Wo die Politik versagt, hat die Wirtschaft Erfolg: Mehr als 2 Milliarden Shekel (ca 500 Millionen Euro) ist der Beitrag arabischer High-Techisten in der israelischen Wirtschaft. Und er könnte viel grösser sein. Eine kaum bekannte Erfolgsgeschichte.

Der Himmel ist die Grenze

Eine persönliche Geschichte: Ich begleite eine deutsche Delegation in Nazareth. Nach einer Tour durch die Altstadt und die historischen Stätten fahren wir zum “Berg des Abgrunds”, von dem nach christlichem Glaube Jesus gestossen wurde, aber statt zum Abgrund zu fallen, bis zum nächsten Berg sprung (auf Arabisch heisst der Berg “Jabal al Kafza”, also “Sprungberg”). Der Fremdenführer, ein christlicher Araber aus Nazareth, erzählt die Mythologie des Berges, und zeigt auf die atemberaubende Landschaft des Jesriel-Tals, das man von dort sieht. “Mein Herz schlägt aber nicht wegen den heiligen Stätten am Höchsten, nicht wegen dieser wunderschönen Landschaft, und auch nicht wegen der heiligen Stadt Nazareth, wo Jesus aufgewachsen ist. Nein – was mein Herz höher schlagen lässt, sind diese Häuser.” Und er zeigt auf einen unscheinbar wirkenden Industriepark. Es ist Wadi El-Hadsch bei Nazareth, der Standort des ersten High-Tech-Parks einer arabischen Stadt in Israel.

Nazareth, High-Tech-Park, Wadi al-Hadsch
Berg des Abgrunds. Foto: Benjamin Rosendahl

Ein anderer arabischer Frühling

Wenn man den meteorhaften Anstieg des Prozentsatz arabischer Ingenieure und Programmierer in den letzten zwei Jahrzehnten sieht, dann kann man eigentlich von nicht weniger als einer Revolution sprechen:

Im israelischen “The Marker” (12.9.) gibt Sami Saidi, der Gründer und Geschäftsführer von “Zofen”, einer Organisation, deren Ziel die Integration der arabischen Gesellschaft im israelischen High-Tech ist, die folgende Statistik: 2008 arbeiteten 350 arabische Ingenieure im israelischen High-Tech. Zehn Jahre später sind es 6,600.

Das sind fast zwanzig Mal so viele. Saidi fügt hinzu, dass die alleine im letzten akademischen Jahr über 4500 arabische Studenten High-Tech-Fächer in israelischen Universitäten belegen, das ist drei Mal so viel wie in drei Jahrzehnten zuvor gemeinsam (!).

Revolutionär ist auch, dass heute 25% dieser Ingenieure Frauen sind – vor zehn Jahren war ihr Prozentsatz fast null. (Alle statistischen Erhebungen dieses Artikels wurden von “Zofen” veröffentlicht)

Die Araber stürmen – aber nicht zu den Wahlurnen

“Eigentlich will ich diese Wortwahl des Premierministers (Netanjahu, BR) nicht benutzen”, sagt Fausi Shakur, Leiter des R&D-Zentrums von Personetics, in demselben Artikel von “The Marker”. Er bezieht sich auf die Wahlen 2015, als Netanjahu am Wahltag ein Video postete, wo er davor warnte, dass Araber en masse in Autobussen der Linke zu den Wahlurnen gebracht würden, um den Sieg der Likud-Partei und Netanjahus zu verhindern. Die rassistische Panikmache verfehlte ihr Ziel nicht: allen Prognosen zu trotz gewann Netanjahus Likudpartei die Wahl und stellte die Regierung. (Die Ironie der Sache ist, dass die Wahlbeteiligung der arabischen Minderheit in Israel grundsätzlich deutlich unter der der jüdischen Bevölkerung liegt) “Aber”, so Shakur  weiter, “die Araber stürmen tatsächlich en masse – nicht zur Wahlurne, sondern zum High-Tech”.

Es sei dies ein gesellschaftlicher Paradigmenwechsel, vor allem im arabisch-israelischen Sektor selbst: So war es vor 1-2 Jahrzehnten noch Gang und Gebe, dass auch ein Top-Ingenieur letztlich in sein Dorf zurückkehrt, und dort im Familienbetrieb mitarbeitet. Die junge Generation macht da nicht mehr mit. Sie will soziale Mobilität. Und war es, so Shakur, früher der Traum jeder arabischen Mutter, dass ihr Kind Arzt oder Rechtsanwalt wird, so ist es jetzt – High-Techist…

Wo die Politik versagt…

All dies ist umso beeindruckender in einem politischen Klima, das noch nie so feindselig der arabischen Minderheit gegenüber stand, und das hat sich nur noch verstärkt. Einer der traurigen “Höhepunkte” dieses Klimas war das “Nationalgesetz” (Hok HaLeum) von 2018, das sich nur mit den jüdischen Aspekten des Staates Israel beschäftigt, als ob es keine nichtjüdischen Minderheiten gäbe. Es schaffte auch Arabisch als offizielle Sprache ab.

Im High-Tech spielt dies keine Rolle: die einzige Sprachen, die man hier können muss, sind Programmiersprachen. Und solange das Produkt gut ist, interessiert es auch keinen, welche Religion man hat, und ob – und wenn ja, wie intensiv – man sie ausübt. Im Gegenteil ist es für eine High-Tech-Firma von Vorteil, wenn beispielsweise an christlichen Feiertagen die Juden arbeiten, und an jüdischen die Muslime – dann ist die Firma fast immer besetzt.

Es gibt noch Potential

Trotz dieser vielversprechenden Situation sind die Herausforderungen noch gross: So ist der Beitrag der arabischen Bevölkerung zum israelischen Bruttoinlandsprodukt lediglich 9%, während sie aber 20% der Bevölkerung ausmachen. In anderen Worten verliert die israelische Wirtschaft jährlich ca. 30 Milliarden Shekel (ca. 7.5 Milliarden Euro) an dem nicht ausgeschöpften Potential – eine Zahl, die sowohl “Zofen” als auch die israelische Nationalbank in ihrem Bericht nennt.

Ein weiteres noch unausgeschöpftes Potential ist der “Exit” arabisch-israelischer Start-Up, also der millionen- oder milliardenschwere Verkauf an eine Firma der Grössenordnung von Google (die die israelische Firma “Waze” kaufte) oder Intel (das die israelische Firma “Mobileye” erwarb). Die meisten arabischen High-Techisten sind keine Firmengründer, sondern arbeiten als Angestellte. Jedoch gibt es bereits 100 Start-Ups, deren Gründer Mitglieder der arabischen Minderheit in Israel sind. “Wir warten noch auf den ersten arabischen ‘Exit’ in Israel”, sagt Hanis Shukri, Berater von Zofen.

Dann ist – wie beim “Berg des Abgrunds” der Himmel die Grenze…

Benjamin Rosendahl ist Projektleiter, Übersetzer und Journalist. In München geboren, lebt er in Tel Aviv mit seiner Frau Liron und der gemeinsamen Tochter Alma.

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Ben
Ben
4 Jahre

Zu dem Thema gibt es auch ein Buch (derzeit nur auf Hebraeisch): http://www.booksintheattic.co.il/book.php?book_id=3626980

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