Israel, Kibbuz, Mexico, Schuhmacher

Auf den Flügeln des Lebens fliegen

Mein Name ist Pnina Atir, ich bin Schriftstellerin und Dichterin und habe ein MA in jüdischen Studien. Das Buch „Auf den Flügeln des Lebens“ ist mein zweites Buch. Es enthält kurze Geschichten und Gedichte und basiert auf meiner eigenen Lebenserfahrung. Die dreißig Geschichten sind zum Teil naiv, und zum Teil erwecken sie nostalgische Gefühle an das Land und den Kibbuz, wie sie einmal waren. Und zum Teil sind sie erfüllt von Gerüchen und Traditionen aus allen Herren Länder. Im folgende, drei davon.

Pnina Atirs kurze Geschichten sind zum Teil naiv, und zum Teil erwecken sie nostalgische Gefühle an das Land und den Kibbuz, wie sie einmal waren.

Auf den Flügeln des Lebens fliegen

Von Pnina Atir

Übersetzung: Uri Shani

Der Schuster in der Schuhmacherbaracke

Moische Adler war ein besonderer Kauz, nicht besonders hochgewachsen, aber immer lächelnd. Wenn man zu ihm in die Schusterei kam, trug er eine lederne Schürze, um ihn herum lag ein schmutziges Durcheinander von Lederfetzen, Zigarettenasche, Gläser mit Kaffeesatz, von denen es schwer zu beurteilen war, wann sie das letzte Mal gewaschen worden waren, und zwischen all dem saß er auf einem Strohschemel, mit der obligaten Zigarette im Mundwinkel und arbeitete an einem Schuh.

Als ich eintrat, lächelte er und fragte:

„Willst du eine Zigarette?“

„Nein, ich rauche nicht.“

„Kann ich dir Kaffee anbieten?“

Beim Anblick der Gläser und des verrußten Findschans antwortete ich höflich: „Nein danke.“

„Was ist los?“

„Die Schuhabsätze sind abgetreten, ich gehe schon auf den Sohlen.“

Er nahm die Schuhe, brachte mir einen Strohschemel und lud mich ein, mich zu setzen.

Ich wusste: Wenn ich mich dazu durchringe, mich zu setzen, beendet er die Arbeit schneller. Ich saß also geduldig zwischen der Zigarettenasche, den dreckigen Kaffeegläsern und den Lederstreifen in den verschiedenen Farben, aus denen er die Schuhsohlen machte.

Moische erzählte obszöne Witze, und ich lachte aus Höflichkeit.

„Willst du Eisen in den Sohlen und den Absätzen?“

„Ja, sicher, dann halten sie länger.“

Er nahm aus der Nagelbüchse drei Nägel, hielt sie im Mund fest, nahm jedes Mal einen, rammte sie in den Schuh, drehte den Schuh, nahm nochmals drei Nägel in den Mund, und als er die Arbeit beendete, schaute er mit einem Siegesblick auf mich.

„Ich hab dir neue Schuhe gemacht.“

Ich ging mit den vernagelten Schuhen auf dem Asphalt, und manchmal tanzte ich Steps, wie im Film mit Chana Meron, als sie fünf Jahre alt war.

Ich rieche noch heute den Geruch des Leders, und das Lächeln von Moische Adler sehe ich vor mir.

Die Ansiedlung des Kibbuz

Der Name unserer Gruppe wurde durch Abstimmung „Etgar“ [„Herausforderung“] genannt. Ich war sehr ergriffen: Wir, die Städter, die den Kibbuz als erhabenes Ideal kannten, gründen jetzt einen Kibbuz. Meine Gruppe wurde ausgewählt, einen neuen Kibbuz zu gründen. Ist das möglich?

Die Stimmung war sehr festlich, als die Delegierten der Kibbuzbewegung „HaKibbuz HaArtzi“ und diejenigen der Jewish Agency zur Zeremonie der Grundsteinlegung kamen. Das Gefühl der nationalen Verantwortung erfüllte jeden von uns. Jeder von uns erhielt eine Aufgabe: Batja war für die Waschküche verantwortlich, Awiwa für die Küche, Assaf und Alex für die Garage, Aharon für die Werkstatt für elektrische Geräte, und ich für die Plantagen. „Ich muss mich auf die Sitzung mit dem agronomischen Lehrmeister vorbereiten“, dachte ich aufgeregt. „Wie lösen wir das Problem mit dem Kastanienbohrer in der Apfelplantage? (Der Kastanienbohrer ist ein Schädling, der den Baumstamm auffrisst.) Die Sitzungen der Arbeitsgruppe, der Aufbau des Jahresplanes, das gab mir das Gefühl, dass ich am Aufbau einer neuen Welt mitarbeitete. Ich glaubte daran, dass dies der richtige Weg sei. Alles wurde von der Generalversammlung mit Mehrheitsbeschluss entschieden.

Der Glaube der unbekannten Frau

Auf der Bank vor der Kirche saß eine Frau, die die Puppe eines Jünglings in den Händen trug. Ich fragte sie: „Was bedeutet diese Puppe?“

„Das ist Jesus der Jüngling. Jesus der Jüngling ist heilig in unseren Augen, aber es gibt ihn nicht in Mexiko, meine Schwester, die in Kolumbien wohnt, hat ihn als Geschenk der Maria Magdelana gebracht.“

Ich sagte: „Ich war in Kolumbien, ein schönes Land.“ (Ich sagte nichts darüber, dass ich aus Israel komme.)

„Wissen Sie, der Messias wird bald kommen.“

„Wie wissen Sie das?“

„Wegen eines kleinen Volkes, das das Heilige Land besiedelt hat. Sie haben begonnen, das Heilige Land aufzubauen – ihr Werk beschleunigt das Kommen des Messias.“

Ich war verblüfft. Ich sitze vor einer Kirche in Mexiko, spreche mit einer Frau, die nichts darüber weiß, dass ich aus Israel komme, und die sagt solche Dinge. Erstaunlich! Die einfachen Leute in der Kirche glauben, dass wir die Gesandten Gottes seien, sie glauben, dass wir das Kommen des Messias beschleunigen.

Auch heute noch, wenn ich mich daran erinnere, berührt es mich.

Pnina Atirs kurze Geschichten sind zum Teil naiv, und zum Teil erwecken sie nostalgische Gefühle an das Land und den Kibbuz, wie sie einmal waren.

Uri Shani ist in der Schweiz geboren und lebt seit 35 Jahren in Israel. Er ist professioneller Übersetzer für Literatur aus dem Hebräischen ins Deutsche. Sein "Übersetzer-Credo" könnt ihr im Link nachlesen:

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Rosebud
Rosebud
3 Jahre

Der Name der Autorin uebersetzt sich uebrigens als „ein Uebermass an Juwelen“ – wenn wir jede Kurzgeschichte als (literarische) Juwele betrachten, kann der Name nicht passender sein…

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