Oren Awiw, ein junger Dozent an der Hebräischen Universität in Jerusalem, wird von Gerald, einem amerikanischen Antiquitätensammler, gebeten, ein altes Schriftstück zu transkribieren. Als Oren das Dokument öffnet, ist er erstaunt zu entdecken, dass es sich um einen unbekannten Auszug aus einer Schrift des berühmten Historikers Josephus Flavius handelt (ursprünglich: Joseph ben Matitjahu), der Zeuge der Eroberung und Zerstörung Jerusalems durch die Römer war, im ersten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung. Der Dozent und der Antiquitätensammler versuchen, die anderen Teile der Schrift von arabischen Händlern in der Westbank zu kaufen. Oren wird in das Labyrinth der Beziehungen und Schwierigkeiten hineingezogen, die sich bei diesem Versuch ergeben.
Die Geschichte ereignet sich in einer Zeit von tagtäglichen Terroranschlägen in Jerusalem, die die Beziehungen der Hauptfiguren des Romans beeinflussen.
Das Beziehungsdreieck zwischen dem jungen israelischen Dozenten, dem amerikanischen und den arabischen Händlern ist das Zentrum, um das die Ereignisse im Buch sich drehen, zusammen mit einer Beziehung zwischen Oren und einer Studentin, die vom Manuskript erfährt.
Beni Steinberg ist Anwalt und in Jerusalem geboren. Er unterrichtet an verschiedenen akademischen Instituten. „Der Garten im Innern“ (2016) ist sein erster Roman. Sein zweites Buch wird 2020, auch bei Kinneret Zmora-Bitan, erscheinen.
Der Garten im Innern
von Beni Steinberg
Übersetzung: Uri Shani
…Oren wachte um halb sieben Uhr morgens auf und konnte nicht mehr einschlafen. Die Blätter lagen auf dem Boden neben dem Bett verstreut. Er las wieder, dann wusch er sein Gesicht und ging ins Wohnzimmer.
Alle Zeichen in diesem Text, dachte er, die Befreiung der Gefangenen, das Schreiben der Bücher, das Wohnen im Haus des Kaisers, alles deutete auf die Identität des Autors hin. Aber er hatte alle Bücher von Josephus Flavius gründlich durchgelesen, mindestens zweimal, er kannte sie gut, und er wusste mit Sicherheit, dass dieser Text nicht in ihnen vorkommt. Und das war sonderbar und erregte seinen Verdacht, wie auch die Tatsache, dass der Papyrus auf Hebräisch geschrieben war, und Josephus schrieb auf Griechisch, außer der verschwundenen Version des „Jüdischen Krieges“. All dies verstärkte den Verdacht, dass es sich um eine Fälschung handelte, sogar eine nicht besonders gute, und wenn es eine Fälschung war, wozu die Zeit vergeuden für etwas, das nichts wert war und nur ein paar Gauner nützt, die seine Naivität ausnützen wollten.
Aber wenn es ein Original war?
Und wie würde das sein Doktorat beeinflussen? Und den Artikel, den er schon fast beendet hatte? Das kann sie in einem lächerlichen Licht erscheinen lassen. Und trotzdem – wenn es original war? Das heißt… wirklich von Josephus Flavius geschrieben, nicht ein Zitat oder eine Kopie, seine eigene Handschrift, die niemand bisher gesehen und katalogisiert und verglichen und darüber geschrieben hatte, und nur vor seinen Augen lag es hier, wie ein Neugeborenes in seiner Wiege, nachdem es aus vergilbten Papyrus-Blättern, die in dieser grünlichen Schachtel lagen, geboren war.
Um acht Uhr fünfzehn steckte er zwei Scheiben Brot in den Toaster und rief Teichmann an.
„Ich dachte, du stehst vor neun nicht auf“, sagte Teichmann belustigt.
„Ich bin früh aufgestanden“, gab Oren zurück. „Ich habe gelesen, was du mir gegeben hast, und ich habe alle Quellen geprüft, die ich habe. So ein Text existiert nicht, und das Ganze sieht sehr merkwürdig aus, auch der Stil und die Sprache… egal, was ist mit dem Rest? Kannst du zu mir kommen, mit dem Papyrus, und wir besprechen es?“
„Ich kann es nicht einfach so schnell aus ihm herausholen“, sagte Teichmann. „Er arbeitet gerade an der Freilegung des Restes. Es ist mit viel Schmutz und Schichten von -„
„Wer ist ‚er‘?“
„Itzig. Der Techniker im Labor in Tel-Aviv, ich hab dir erzählt, dass die Spezialisten sind in solchen – „
„Wann hast du mir das erzählst?“
„Vor einer Woche“, sagte Teichmann mit seiner ruhigen Stimme, „als wir den Zustand des Papyrus besprachen, und da sagte ich, dass man das jemandem geben muss, der die passenden Mittel dazu hat, und auch mehr Erfahrung.“
„An die Sache mit dem Labor kann ich mich nicht erinnern“, sagte Oren, „und seine Stimme versank. Man kann den Papyrus nicht herumschleppen und herumreichen. Er gehört uns gar nicht, er kann verloren gehen oder zerstört werden.“
„Er wird nicht verloren gehen“, sagte Teichmann trocken. „Ich habs ihm selber gebracht. Das ist jemand, mit dem wir seit Jahren hier im Institut arbeiten. Es hat noch nie ein Problem gegeben.“
„Wann wird er das fertig haben?“ Oren schnaubte eine Menge Luft hinaus.
„Weiß ich nicht. Er sagte, er mache es so schnell wie möglich, aber das dauert mehr als ein Tag. Er braucht Zeit.“
Aber die Zeit – was soll er nur mit der Zeit machen? Mit dem Druck, den Gerald auf ihn ausübte, und mit dem üblichen Stress, dem Bestreben, noch und noch Dinge anzutreiben, zu bewältigen, zu erreichen. Alles erreichen.
Im Juli war Oren fünfunddreißig Jahre alt geworden, und kurz davor hatte er begonnen, darüber nachzudenken, dass etwas mit der Zeit nicht stimmte, dass er zweimal so viel brauchte, um – knapp – zu schaffen, was er machen musste, wie zum Beispiel: Die neuen Kurse des Semesters vorbereiten; und den Artikel bis Ende Monat fertigschreiben, damit er in der ersten Nummer der neuen Zeitschrift erscheinen kann, eine Nummer, die bestimmt besonders beachtet wird; und die Zusammenfassung über Unterrichtsprozesse schreiben, den er Professor Dagan, dem Dekan, versprochen hatte, und er erinnerte sich an dessen Bemerkung, dass, wenn die Zusammenfassung der Kommission gefallen würde, er vielleicht dort einen Posten erhalten würde. Darüber hinaus die Tagung, die er initiiert hatte, über Tendenzen in der Josephus-Flavius-Forschung; und das Computerprojekt, wo er bereit gewesen war mitzumachen; und die nervenden Gespräche mit seinem Vater; und nächste Wochen begann das Semester, und die Hälfte seiner Zeit verging dann mit Vorlesungen und Gesprächen mit Studenten, und Arbeiten von Studenten durchgehen und kommentieren, und Prüfungen und und und… Und wieder wird es ein oder zwei Uhr nachts werden, bis er sich auf dem Sofa im Wohnzimmer hinwerfen würde, fix und fertig, und er dachte, dass hier vielleicht ein einziger großer Fehler sei, dass er das vernachlässige, was ihm wirklich wichtig war, dass er seine geheimen Ambitionen ignoriere, alles hinwerfen, nicht darüber nachdenken, was sein wird und was sie sagen werden, endlich dieses Flugticket kaufen und zu Karen fliegen.
Eine schoene Geschichte, die etwas Abwechslujg zu Freitag, den 13.und der Koronahysterie schafft…