Erinnere mich bitte nochmal, wer du bist

„Ich habe Angst, dass ichs schlecht haben werde.“

Oscher zuckte mit den Achseln. „Und wer hats gut?“

Eben. Keiner. Didi sitzt in einer Arbeit fest, in der sie zu wenig verdient, Roye sitzt in einem Bodybuilder-Körper fest, Oscher sitzt in seiner Einsamkeit fest, und die alte Rosi sitzt irgendwo fest, schwierig festzustellen, was im Kopf einer dementen Alten vor sich geht.

Und gerade dann platzt in Didis Leben ein Angebot, das man nicht ausschlagen kann: Eine riesige Summe für das Schreiben einer Biographie, halb erfunden, über eine Frau, die sich an nichts erinnert. Wie zu erwarten ist, entwickelt es sich gegen alle Erwartungen, und Didis Leben wird von einer Reihe von geheimnisvollen Affären überflutet, oder jedenfalls solchen, die besser im Geheimen geblieben wären: ein Mord in der Vergangenheit, eine Romanze mit einem Nichtsnutz und ein Nachbar mit Essstörungen.

Erinnere mich bitte nochmal, wer du bist“ ist ein mitreißender Roman, der keine Hemmungen hat, über alles zu lachen, worüber man nicht lachen darf. Wenn eine Wahrheit in ihm steckt, dann diese eine bescheidene: Niemand akzeptiert dich wirklich, wie du bist, außer deine Eltern, und auch die sähen es gerne, wenn du die Haare färben würdest.

Neta Choter, Jahrgang 1979, ist Journalistin und Drehbuchschreiberin aus Givatajim, Mutter eines sechsjährigen Sohnes.

"Erinnere mich bitte nochmal, wer du bist" von Neta Choter ist ein mitreißender Roman, der keine Hemmungen hat, über alles zu lachen, worüber man nicht lachen darf.

Erinnere mich bitte nochmal, wer du bist

von: Neta Choter

Übersetzung: Uri Shani

1.

„Das ist ein Fehler“, erklärte sie einigermaßen höflich dem Menschen am anderen Ende der Leitung, der sich als Oscher vorstellte, „aber mit ‚Ajn, Sie wissen, Geschmackreichtum, Gefühlsreichtum, Farbenreichtum“, erklärte er detailliert und enthusiastisch. [Oscher mit ‚Alef bedeutet Glück im Sinn von Glücksgefühl, Wohl, Heil, und wird als männlicher Vorname gebraucht, aber nicht Oscher mit ‚Ajn, das Reichtum bedeutet. Der Übersetzer] „Das ist immer noch ein Fehler, ich bin keine Schriftstellerin.“ Er ignorierte ihre Deklaration und begann sofort, ihr seine glühende Vision vom Buch darzulegen, das sie, so meinte er, schreiben werde. Aber sie war wirklich keine. Sie sei leider nur eine Werbetexterin, versuchte sie in seinen Wortschwall einzubrechen, und auch das nur für „Mercury“, einer Tochtergesellschaft einer Tochtergesellschaft eines Werbebüros, die schon seit drei Jahren am Erlöschen sei. Das heißt, es gibt Schriftsteller, und es gibt mich, die einen Slogan sucht für importiertes Hundefutter mit einem besonderen Enzym, das der Verdauung hilft. „Wir brauchen keine Schriftstellerin“, sagte Oscher und verwarf damit die Grundlage einer ganzen Kultur von Druck und Armut. „Wir brauchen eine Ghostwriterin. Sie müssen verstehen, Rosi ist eine einmalige Frau, eine Welt für sich, hinter ihr sammeln sich dreiundachtzig unermüdliche Jahre, sie hat Kriege, Shoa, Verlust überlebt, sie will eine Geschichte hinterlassen, das schreibt sich von alleine.“

„Jemand klopft an.“

„Kein Problem, antworten Sie, ich bin hier.“

„Das ist eine Spitzen-Marke“, schniefte Eres, der stellvertretende Marketing-Boss, am Telefon auf eine Weise, die sie an den armseligen Border Collie der Nachbarn unter ihr erinnerte. „Französisch, übrigens, ein unglaubliches Enzym, das den Hunden Blähungen und schlechten Geruch aus dem Mund erspart.“

„Einen Namen gibt es schon?“

„Lass es offen… was hältst du von Le Dog, das ist Hund auf Französisch.“

„Ist es nicht.“

„Wie bitte?“

„Wie heißt es im Original?“

„Etwas mit chien, aber ich glaube nicht, dass das hier ankommt.“

„Chien ist Hund auf Französisch.“

„Na ja, aber wir entscheiden uns für Le Dog, das ist Hund auf Französisch.“

„Ok. Was braucht ihr?“

„Nur ein-zwei kurze Abschnitte über die Vorteile und auch ein paar Vorschläge für die Catchphrase, um die Präsentation aufzumöbeln, marktgerecht, aber mit deinem Ton.“

„Ein beißender Hund fällt nicht?“

„Nein.“

„Die Hunde quälen und die Karawane zieht weiter?“

„Vielleicht etwas mit einem poppigen Reim?“

„Lustige Mahlzeit, und dein Hund ist befreit.“

„Nein.“

„Schmeckender Fraß, und dein Hund hat Spaß.“

„Ohne Reime, schick mir dalli-dalli ein paar Zeilen.“

„Gesundes Enzym in leckerem Kostüm!“

„Bye.“

Oscher war immer noch am Draht und noch immer der Meinung, dass der Unterschied zwischen biographischer Literatur und einer Präsentation zum Thema schlecht riechender Hunde ein technischer, geringfügiger, semantischer sei. Dieser sogenannte Unterschied sei ein Produkt von aufgeblasener Starrheit, eine Förmlichkeit, deren Redlichkeit etwa der der indischen Kasten gleichkomme. Sie machten am nächsten Sonntag ab. „Und nachdem Sie sie treffen werden, verspreche ich Ihnen, dass sie sich für das Projekt begeistern werden. Das Projekt ist übrigens, das haben wir noch nicht besprochen, auch finanziell sehr begeisternd.“ „Wie sind Sie zu mir gekommen?“ erinnerte sie sich zu fragen. „Wir haben ein Team von Analysten, die eine Auswahl aus Hunderten von Kandidaten wählte und zum Schluss zu ihnen kam, Daniela“, verlautete er feierlich. Die Ader des Wettkampfes wachte für einen Moment lang auf. „Bin ich Ihre erste Präferenz?“ „Unsere einzige.“

Sie verstand nicht, was gerade geschehen war. War das ein Telefonstreich? Wenn man das heute noch machte, dann war es eigentlich logisch, dass man sie auf den Arm nehmen würde. Sie googelte Rosemary Worcell. Die gab es tatsächlich. Sogar einen Wikipedia-Artikel.

Rosemary Worcell

Rosemary Worcell (geb. am 15. Juni 1934) ist Investorin, Geschäftsfrau und israelisch-britische Erbin. Sie ist die Gründerin der „Genosab“-Holding-Gesellschaft und Vorsitzende des Verwaltungsrats.

Worcell ist Witwerin und Mutter von drei Söhnen.

Weblinks: Die Stiftung für Kunst „Leonore Worcell“. (angeklickt. „Die Website ist im Aufbau“..)

„Dieser Artikel ist stark lückenhaft“ steht zwar unten, also ein Artikel, der für Menschen oder Begriffe geschrieben wurde, die nicht genug der Welt gespendet haben, damit man sich ein bisschen Mühe gebe. Die Stiftung für „Leonore Worcell“ schickte zwar eine bittere Stecknadel in ihren Bauch, aber nicht mehr als das. Wie wollte jemand, der sich vielleicht durchs Telefon über sie lustig machte, dass sie eine Biographie über Rosemary Worcell schreibe, wenn sie nicht einmal genug interessant war, um mit Fälschungen und verdrehten Tatsachen einen einfachen Wikipedia-Artikel zu füllen? Und, lieber Himmel!, wer nennt seinen Sohn „Reichtum“? Da wurden Hunderte von Jahre von Erziehung, Legenden und Folklore übersprungen, die uns lehrten, Glück (im Sinn von Glücksgefühl) dem Reichtum, das Mittel, nicht Ziel, sein sollte, vorzuziehen, wobei auch Glück natürlich ein verwegener Name für sich ist. Das heißt, in der Annahme, dass du kein hundsgemeiner Neureicher bist, oder es zumindest zu verheimlichen versuchst. Sie musste zu den Hunden zurück, das wusste sie, aber wie? Sie erinnerte sich an Michael und an das „Wir-verabschieden-uns-aber-wir-werden-am-Abend-nochmals-darüber-sprechen“ Ködergespräch, auch damals konnte sie nicht zur Arbeit zurück, er schon. Rosemary Worcell. Etwas schlummerte in ihrem Hirn und klopfte alle paar Sekunden an, und plötzlich erinnerte sie sich – Genosab. Ja, das kannte sie doch! Und sie erinnerte sich sogar, dass ein paar frustrierte Mitarbeiter ihre Firma „Genozid“ nannten. Der Freund von Ossnat, wie hieß er schon wieder? Der arbeitete bei Genosab. Warum erinnerte sie sich daran? Irgendein zufälliges Treffen, offenbar, wahrscheinlich eines, das in einer schrecklichen Kneipe stattfand, so eine, in der man Handbänder gemäß „Trinklinie“ verteilte, oder wo alle zusammen Cocktails aus einem Eimer tranken. Sollte sie Osnat eine Nachricht schicken? Das konnte sie nicht. Sie hatte Monate nicht mehr mit ihr gesprochen. „Er heißt Mejtan“, antwortete Ossnat mit einer – so schien es ihr – leichten Ungeduld, aber das konnte auch ihre gewöhnliche Wortarmut sein. „Er ist jetzt in einem Tauchkurs, wenn du morgen kommst, können wir ihn anrufen. Kommst du?“

Morgen. Das war so voraussehbar, dass Mejtan in einem Tauchkurs war. Eine klaustrophobe und stille Unterwasserwelt war das Einzige, wohin man von einer Partnerschaft mit Ossnat und einer Arbeit in einer Holding-Gesellschaft, die offenbar die Parallele zum Völkermord war, flüchten konnte. Zwanzig vor fünf. Sie zog sich schnell an, Leggings, großer Pullover, Sportschuhe, schnappte sich den Umschlag mit den Rechnungen und rannte ins Treppenhaus. Mit allem gebotenen Respekt vor Rosemary ich-habe-jede-Menge-Geld-und-ich-gebs-wem-mir-eine-Biographie-schreibt Worcell, die Post macht gleicht zu.

"Erinnere mich bitte nochmal, wer du bist" von Neta Choter ist ein mitreißender Roman, der keine Hemmungen hat, über alles zu lachen, worüber man nicht lachen darf.

Uri Shani ist in der Schweiz geboren und lebt seit 35 Jahren in Israel. Er ist professioneller Übersetzer für Literatur aus dem Hebräischen ins Deutsche. Sein "Übersetzer-Credo" könnt ihr im Link nachlesen:

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BR
BR
4 Jahre

Sehr interessantes Set-Up! Ich bin auf den Rest des Romans gefasst, hoffentlich gibt es ihn mal auf Deutsch…

Übrigens gibt es (hauptsächlich für Hebräisch-Leser, aber nicht nur) bei „Mako“ eine Anzahl von Videos, die unter dem Namen „ein Handbuch zum Leben´von Neta Hoter“ zusammengefasst sind:
https://www.mako.co.il/culture-online/neta-hoter-articles
U.a. mit „warum heissen Wohnhochhäuser so komisch“, „32 Dinge, die jeder macht, aber keiner zugibt“ (zB einen Kaffee „to go“ bestellen und aber im Kaffee drinken, weils 50 Cent billiger ist), „was sagt dein Tattoo über dich aus“, und mein Liebling, 59 Sätze, die nicht mehr pc sind („hast du gerade deine Tage?“ ist einer davon, wusste nicht, dass das mal pc war)

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