Moshe Granot ist Schriftsteller, Lektor, Essayist und Dr. phil. und war Schulinspektor der israelischen Mittelschulen. Er publizierte 58 Bücher, darunter das „historische Lexikon der hebräischen Schriftsteller seit 1948“ im Verlag des Vereins der hebräischen Schriftsteller und Chefredakteur der Zeitschrift des Vereins „Mosnaim“ (=Waage). Granot erhielt viele Preise für seine Bücher und seine Arbeit, darunter den Ehrenbürger der Stadt Ramat Hasharon (2018).
In der folgenden Geschichte ist die Erzählerin eine Mitfahrerin, zusammen mit zwei anderen Soldatinnen, im Auto des damaligen Vize-Stabschefs Eser Weizmann (Neffe des ersten Staatspräsidenten Chaim Weizmann, selber der siebte israelische Staatspräsident, davor Pilot und General der Luftwaffe, Verkehrs- und Verteidigungsminister. Er wurde allgemein „Ejser“ genannt, mit jiddischer Färbung). Kirja heißt Stadt, aber normalerweise, wenn man „die Kirja“ sagt, meint man den Sitz des Generalstabs in Tel Aviv. Tel-Nof ist ein riesiger Luftwaffenstützpunkt im Süden des Landes.
Diese Geschichte ist die erste in der Kurzgeschichtensamlung „Die Frau des Colonel“ (2018).
Rachel Rachel
von Moshe Granot
Übersetzung: Uri Shani
Ich saß neben Ejser, der wie wild fuhr – ein bisschen Angst machte das schon, aber er brachte mich in wenigen Minuten in die Kirja. Hinter uns saßen noch zwei andere Soldatinnen, die salutiert hatten, bevor sie eingestiegen waren. Ich hatte das vergessen – wie unpässlich!
„Also, die wichtige Sache an der Geschichte“, sagte die Dickere unter den beiden, „ist, dass seine Mutter starb, kurz bevor er eine Frau aus Haifa heiraten sollte. Die wohnte in einem schönen Haus auf dem Karmel und war reich, und auch ihm fehlte nichts – und alle dachten, dass sie gut zueinander passten, und nur schade, dass seine Eltern nicht dabei sein konnten, und er ging in den Friedhof, um die Erlaubnis seiner Eltern zu erhalten, und um sie zur Hochzeit einzuladen. Also, man glaubt, wenn man die Toten nicht einlädt, vor allem die Eltern, dann kommen sie uneingeladen und verderben die Freude, und wer seinen Frieden will, der geht zum Grab, bringt eine Kerze, weint ein bisschen, und bittet den Toten zu kommen. Und er ging tatsächlich, zündete eine Kerze an, und schaffte es nicht zu weinen, aber er bat Mama und Papa um ihren Segen. Dann stand er auf und wollte gehen, und da sah er sie, die Rachel, die sich gar nicht verändert hatte, sie war sogar noch schöner, denn ihre wunderschönen Augen waren traurig, und die Trauer passte zu ihr… und siehe da, sie geht vor ihm auf dem Weg, und sie erkannte ihn natürlich nicht, denn es waren Jahre vergangen, und er war kein Kind mehr, sondern ein erwachsener Mann. Und er stand da mitten auf dem Weg zwischen den Gräbern, verblüfft, spürte wie ihm schwindlig wurde, und wenn er sich nicht auf den nächsten Grabstein stütze, würde er umfallen. Und sie kam in seine Richtung, denn sie besuchte ihren Mann, der zwei Jahre davor an Leberkrebs gestorben war, und sie hatte sich noch nicht vom Schlag erholt, denn sie waren das… also, sie waren in der Boheme von Tel-Aviv bekannt, denn beide waren schön, und jeder, der wollte, dass seine Party gelinge, lud sie ein, und jetzt war sie alleine geblieben, und plötzlich verstand sie, was geschehen war, und auch Kinder hatten sie keine…
Und er, dort, im Friedhof, erholt sich von seinem Schock und grüßt sie, und sie antwortet so ein kaltes „Schalom“, denn wer soll das schon sein? Vielleicht irgendein Lümmel, der sie anmacht, von denen gibt es ja jede Menge, und dann noch im Friedhof! Und er sagt zu ihr: ‚Heißt du Rachel Seewi?‘ ‚Ja‘, sagt sie. ‚Und er bist du?‘ ‚Mein Name wird dir nichts sagen, das war vor langer Zeit, du warst meine Klassenlehrerin in der Sechsten.‘
Und da lächelt diese Venus und entblößt Zähne einer Zahnpastareklame, und er sagt sich: ‚Donnerwetter! Da bleibt mir ja die Spucke weg! Das muss eine Botschaft von Mama und Papa sein, das kommt nicht von ungefähr… und er sagt ihr: ‚Rachel, ich liebe dich, ich hab dich immer geliebt, ich bin total verknallt in dich…‘
Und Rachel, das kannst du dir vorstellen, die traf der Schock, nicht, dass sie solche Dinge nicht schon gehört hätte, ihr ganzes Leben lang hatte sie immer nur Liebesbezeugungen gehört, die sagte: ‚Aber du bist klein!‘ und beide brachen in ein ungestümes Lachen aus, denn er war schon dreiundzwanzig und zwei Köpfe grösser als sie. Also verbesserte sie sich und sagte: ‚Ich bin zu alt für dich – ich bin fünfunddreißig, bald sechsunddreißig…‘ und er sagte ihr: ‚Rachel Rachel‘ – und dort, auf dem Weg zwischen den Grabsteinen ging er vor ihr in die Knie. ‚Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich dich liebe, wie sehr!‘ Und sie bat ihn, sie bettelte drum, er solle aufstehen, denn die Leute sehens ja, das ist ein Friedhof, keine Opernbühne, und er stand langsam auf und murmelte weiter: ‚Rachel Rachel‘, und die betrachtete den Armen und sah, dass er nicht schlecht aussah, ja er sah verboten gut aus, und wem war sie schon Rechenschaft schuldig, und sie streichelte sein schönes schwarzes Haar, und er packte ihre Hand und küsste jeden Fingernagel, alle nacheinander, und sie dachte bei sich, wo sollte ich in diesen Tagen schon eine solch glühende Liebe finden, und wo finde ich einen Mann, der sich so benimmt, wie zu den guten alten Tagen, nach allen Sitten? Und sie lachte wieder, dort auf dem Weg im Friedhof, und versprach ihm, und er vergaß, dass er in einer Woche……“
Und da hielt Ejser seine große Amerikanerin an, und die beiden Soldatinnen stiegen aus und salutierten, und er sagte mir:
„Endstation.“
Und ich wusste nicht, wo ich bin und sagte ihm: „Aber ich muss zur Kirja.“
„Tut mir leid, Mejdele, wir sind in Tel-Nof.“
Und ich stieg aus und hatte keine Ahnung, wo ich war, und wieder vergaß ich zu salutieren, und ich wusste auch nicht, was am Schluss mit dieser Rachel und ihrem Dingsda geschah, und ich wollte den beiden Soldatinnen nachrennen, aber sie waren schon zu weit, und ich stand mitten im ich-weiß-nicht-wo.
Sehr schoen! Ezer Weizman, der sehr sympatisch und volksnah war, hatte auch eine sexistische Ader, wie die Anrede „Mejdele“, die hier vorkommt, zeigt („Maedel“) und die er tatsaechlich oft benutzte. Auch soll er gesagt haben: HaTowim leTays, haTowot laTayasim (so ungefaehr – „die guten Jungs werden Piloten, die guten Maedchen angeln sich einen Piloten“)…
Das Kurzgeschichten-Genre ist in Israel leider nicht so entwickelt (Ausnahme Edgar Keret), daher freue ich mich umsomehr, hier israelische Kurzgeschichten zu lesen! Mehr davon!
Ich wollte in der Einleitung diese „sexistische Ader“, wie Du das nennst, erwähnen, aber der Autor war dagegen….
Stürmische Geschichte! Gefällt mir!