Josef Cohen Elran ist Schriftsteller und Dichter, er hat 14 Romane (davon eine Trilogie) und sechs Gedichtbände geschrieben.
Im Roman „Das Prinzip des Verlangens“ (Kinneret, 1999) entbrennt eine große Liebe zwischen Noah und Tomer, beide sind verheiratet und Eltern von Kindern. Er wohnt in Haifa, sie in Tel-Aviv, sie schreibt Gedichte, er malt, und sie arbeiten in derselben Firma und treffen sich in Kongressen der Firma. Sie beginnen, sich heimlich zu treffen, und eine Tochter, Hilit, wird aus dieser Beziehung geboren, aber nachdem diese Liebe vierzehn Jahre angedauert hat, stirbt er an Herzversagen. Noah trauert um ihn im Geheimen, aber nach einer Weile entdeckt Tomers Witwe, dass er eine Geliebte gehabt hat, die ihm auch eine Tochter gebar. Sie lädt sie zu sich ein, um sie kennenzulernen und mehr darüber zu erfahren. Noah überzeugt sie, dass Hilit nicht von ihm ist, und dass sie ihm das nur gesagt habe, um ihn glücklich zu machen.
Das Prinzip des Verlangens
Von Joseph C. Elran
Übersetzung: Uri Shani
Ich schulde das Tomer, dies aufzuschreiben, so wie ich es ihm schuldete, zu ihr zu fahren. Oder ihr. Oder mir selber. An diesem langen, besonderen Tag zu seinem Haus zu fahren, und zu seiner Ehefrau, zu seinem anderen Leben. Ein anderes Leben, eine ganze Welt, ein ganzes Leben. Ein anderer Mensch, sozusagen, aber das ist Tomer, mein lieber Mann. Wie sehr fürchtete ich mich davor zu fahren, ihre Einladung anzunehmen, und wie dankbar bin ich jetzt, und froh. Eine ganze Welt wurde mir geschenkt. Eine Welt, die zu mir gehörte, und nicht bei mir war, und jetzt erhielt ich sie.
Ich fahre nach Haifa. Ich bereitete mich innerlich zwei Wochen lang darauf vor und fahre zu ihr mit der Eisenbahn. Schon seit Jahren wollte ich mit der Eisenbahn fahren. Die Eisenbahn ist ein Gedicht, hätte Tomer sicher gesagt. Er war ein Maler, aber wieviel Lyrik entdeckte ich bei ihm. Und in meinem Empfinden ist die Eisenbahn eine Sehnsucht, etwas, das pfeift und schaukelt, mit seinem ganzen Körper pulsiert und auf der endlosen Schiene dahingleitet. Und vielleicht eine ferne Vision, und vielleicht Kindheit, und vielleicht ein Verlangen nach etwas, das weit weg von mir ist, nach dem Winzigen, dem Unerreichbaren. Ich wollte dieses Schaukeln, so ein Wiegelied, und die Eintönigkeit des Rauschens, und die sich entfernende Landschaft, und die Visionen während der Fahrt, und die Fantasie.
Die Augen schließen und ihn pulsieren hören, wie die Lokomotive, erbeben, vielleicht auch weinen, in mir drin, und wenn nicht in mir drin, so hinter meinen Brillengläsern. Ich wollte weinen, wirklich, eine Erleichterung finden. Die Wunde der Trennung wird wahrscheinlich nie heilen, ich werde wahnsinnig vor Sehnsucht nach ihm werden.
Es waren lange und schwierige Monate vergangen, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, aber er war mit mir in all dieser Zeit, und in all diesen Nächten schlich er sich in mein Bett und lag neben mir. Nur seine Stimme hörte ich nicht wirklich, und ich sah ihn auch nicht. Aber ich konnte ihn fühlen, und er sprach zu mir, auf seine Weise.
Und seine Berührung. Berühren, Tomer. Ich verlangte so sehr nach seiner Berührung, wenn er mich streichelte, mich küsste und mir mit einer umklammernden Umarmung Glück spendete. Das war es, was ich wollte. Seine Haut fühlen, und mit meinen Fingern in seine Haare eindringen. Seinen Hals umarmen und seine Lippen küssen. Fühlen, wie er sich an mich schmiegt, und seine Augen überfluten mich wie das Meer. Genau so. Und seinen Körper kosten, und seine geliebte Stimme hören, hören, wie sie mich streichelte, meine Seele. So war es. Und jetzt umarme ich ihn nur in meiner Einbildung, umarme noch und noch seinen Geist, bis dass mein Körper mich schmerzt. Tomer, Tomer. Ich und mein schreckliches Verlangen. Ich bin deine verrückte Noah, für immer. Und auch Hilit.
Und es ist gut, in der Eisenbahn. Das zersplittert mir die Trauer, so, alleine hinter der Brille, neben diesem großen Fenster, nach Haifa fahrend. Und die Trauer zerbricht tatsächlich in mir, sie macht mich schwach, und ich brauche diese Ohnmacht, vielleicht kann ich weinen. Wie hast du mich betrogen!
Es waren Monate vergangen, die Welt war unbeweglich kalt und leer geworden. Eine Leere überall. Und dann kam es, an einem herrlichen Morgen: In der Post, die auf meinem Tisch lag, war etwas Persönliches, mit einer weiblichen Handschrift, aus Haifa. Und hinten stand ihr Name und ihr Familienname. Und ihre Adresse. Und ich wusste. Es waren Monate vergangen, und siehe da.
Ich wählte diese Eisenbahn. Dieses eintönige, beruhigende, einschläfernde Schaukeln, und es hat auch etwas, das mein Verlangen erweckt, und meine Sehnsucht, die nicht von mir ablässt. Der, der gestorben ist, sagte Gideon. Was für ein Wort! Zum ersten Mal, so scheint es mir, fand dieses Wort in mir seinen Weg zu Tomer. Es war eine Trennung von einer anderen Art, unsere Trennung, nicht dieses schreckliche Wort, kein Verschwinden. Denn wenn er verschwunden wäre, wie hätte er dann zu mir kommen können, und er ist ja bei mir, in jeder Nacht ist er bei mir, und an jedem Tag, in jedem Moment und überall, schaukelt mit mir zusammen hier in dieser Eisenbahn, die mich zu dem anderen Teil seines Lebens führt und zu der, die mit ihm in diesem anderen Teil lebte.
Die großen Themen der klassischen Literatur – Tod, Liebe, Betrug – im israelischen Kontext Es erinnert mich an die großen russischen Romane des 19. Jahrhunderts, wie z.B. “Kreutzer Sonate” von Tolstoy…