„Mein Name ist Amnon Tsoref, ich bin in Ginossar geboren und Kibbuzmitglied von Ginossar. Meine Eltern waren Teil der Gruppe, die 1937 den Kibbuz gegründet haben. Ich bin 75 Jahre alt, und dies ist mein erstes Buch. Von Beruf bin ich Wirtschaftsexperte, aber der Schriftsteller war immer schon in mir drin und wartete darauf, erhört zu werden.“
„Kreuzung“ (Emda, 2018) ist eine Sammlung von Geschichten zwischen dem Lokalen und dem Universalem, zwischen „damals“ und „jetzt“. Ein zweites Buch ist in Vorbereitung.
„Dies sind sehr menschliche Blätter, die aus dem persönlichen Tagebuch gerissen wurden. Ich habe Amnon Tsoref als Geschichtenerzähler genossen, er bannt den Leser und bewegt ihn auch.“ Der Dichter Ronny Someck
Ein Kibbuzmitglied heißt in der internen Kibbuzsprache „Kibbuznik“. Die Endung ist russisch und stammt davon, dass die Kibbuzidee ursprünglich eine tolstojanische war.
Ein Geschenk
von Amnon Tsoref
Übersetzung: Uri Shani
Aharonik trampelte energisch auf seinem Fahrrad vom Hühnerstall hinauf zur Baracke des Kibbuz-Sekretariats auf dem Gipfel des Hügels.
„Sie kamen zu früh“, ärgerte er sich. „Das gehört sich nicht, so Gäste zu empfangen, gleich von der Arbeit.“
Seine Beine waren zwar länger als seine Khakihosen, aber er fasste ihre Enden trotzdem mit Wäscheklammern zusammen, damit sie sich nicht in der offenliegenden Kette verfingen.
Das hintere Schutzblech des alten Fahrrads rieb sich am Rad, der Seitenständer wackelte und ertönte jedesmal, wenn er mit dem Bein daran stieß, und im vorderen Reifen fehlte Luft.
So erreichte er das Sekretariat, wo eine Delegation von zehn schwarzhäutigen schwitzenden Männern in Anzügen auf ihn wartete.
„Ich stelle dir vor“, sagte Avraham Rosen vom israelischen Außenministerium. „Das ist Mobuto Sese Seko, der Präsident der Freien Republik Zaire, des ehemaligen Belgisch-Kongo. Er ist mit einer Delegation auf Staatsbesuch in Israel und bat, einen Kibbuz zu besuchen, um über die fortschrittlichste Kooperative der Welt zu lernen.“
Ein dicker Mann, in Uniform, an der das Abzeichen der israelischen Fallschirmspringer klebte, machte einen kleine Verbeugung.
„Dies ist Aharon Sharon, der Sekretär des Kibbuz“, sagte Rosen, sich an die Gäste aus Zaire wendend.
Aharonik machte eine unbeholfene Verbeugung.
„Ich kenne ihn“, sagte er Rosen leise. „Ich habe ihn im Fallschirmkurs unterrichtet, er hat sich beim ersten Fallschirmsprung das Bein gebrochen.“
„Sag ihm nichts darüber“, murmelte Rosen. „Vielleicht mag er das nicht.“
Aber Mobuto lächelte ein breites Lächeln. „Wie geht es?“ fragte er auf Hebräisch. „Erinnerst Du Dich an das Swing, die Trainingsanlage, vor der alle Angst hatten?“ fügte er auf Englisch mit schwerem Akzent hinzu.
„Ich hätte nicht gedacht, dass Sie sich an mich erinnern würden“, sagte Aharonik lächelnd.
Mobuto lachte. „Den Swing mochte ich, aber den Sprung vom Flugzeug nicht.“
„Seine Exzellenz Mobuto Sese Seko möchte gerne über den Kibbuz mehr erfahren“, eröffnete Rosen in offiziellem Ton. „Er möchte diese Lebensweise kopieren und so sein Land zu einer Optimierung der Ressourcen führen.“
„Entschuldigen Sie bitte meine Kleidung“, sagte Aharonik entschuldigend. „Sie sind früher als erwartet gekommen, ich komme vom Hühnerstall. Wir gehen am besten zum Speisesaal.“
„Wie kommt es, dass du Kibbuzsekretär bist und im Hühnerstall arbeitest?“ fragte Rosen, als sie auf Weg zum Speisesaal den großflächigen Rasen durchquerten.
„Das Prinzip ist einfach“, sagte Aharonik. „Je mehr du im Sekretariat bist, desto mehr wenden sich die Kibbuzniks an dich mit ihren Problemen. Wenn du nicht da bist, lösen sich viele Probleme von selbst.“
Im Speisesaal, der in der Nähe des Sekretariats gelegen war, war schon ein Tisch mit der weißen Tischdecke gedeckt, die man sonst nur am Freitagabend benutzte. Besteck wurde aus dem Pessach-Vorratsschrank geholt und auf Hochglanz gebracht.
Die Mahlzeit wurde gemäß Anweisungen des Außenministeriums, das die Mahlzeit auch bezahlte, vorbereitet. Die Ehrengäste wurden auf der einen Seite des Tisches platziert, die Leute aus dem Außenministerium und die Kibbuzniks ihnen gegenüber. Die Grußreden wurden gemäß dem Protokoll gehalten. „Vor vielen Jahren habe ich Israel besucht“, erzählte Mobuto, „als ich Generalstabschef war. Israel hat unser Militär unterstützt und unsere Soldaten ausgebildet. Ich habe hier, zusammen mit unseren Soldaten, einen Fallschirmkurs gemacht, und der ausgezeichnete Kommandant, der mich belehrt hat, ist Euer Genosse Aharon, an den ich mich all die Jahre gut erinnere. Deshalb beschloss ich, Israel und den Kibbutz zu besuchen. Ich freue mich sehr, dass ich heute hier sein Gast sein darf.“
Aharonik stand auf, um zu antworten. „Seid willkommen, verehrte Gäste, natürlich erinnere ich mich an Herrn Mobuto, er war ein ausgezeichneter Schüler, und trotz seines hohen Offiziersgrades hielt er sich an alle Vorschriften.“
Nach der Führung, die Aharonik den Gästen im Kibbuz machte, nach der Mahlzeit und vor dem Abschied, sagte Mobuto: „Ich habe den interessanten Besuch sehr genossen, und ich habe tatsächlich vor, dieses ausgezeichnete Modell bei uns einzuführen und Kibbuzim für die Hutus zu gründen, die auf meiner Seite stehen. Wir werden euren Außenministerium bitten, Leute aus dem Kibbuz zu uns zu schicken, die uns dabei behilflich sein werden. Natürlich würden wir uns freuen, wenn Herr Aharon der Leiter der Delegation sein wird.“
Aharonik nahm tief Luft, sah dem Autobus nach, der sich entfernte, und fuhr auf seinem ratternden Fahrrad zum Hühnerstall zurück.
„Herr Mobuto war sehr zufrieden von seinem Besuch“, berichtete Rosen am Telephon nach einer Woche. „Wir beschäftigen uns mit dem Thema der Delegation. Das ist nicht so einfach, wie Mobuto denkt, es gibt prozedurale Probleme, aber wir behandeln das. Er hat nicht aufgehört, Deinen Namen zu nennen, und er wollte dir ein spezielles Geschenk überreichen. Er wird es in Bälde schicken.“
*
Nach einem Monat wurde Aharonik ans einzige Telephon im Kibbuz, das im Sekretariat, gerufen, als er zu Mittag ass.
„Neuigkeiten“, sagte Rosen. „Mobuto wurde gestürzt, wir können uns entspannen und die ganze Sache der Delegation vergessen.“
„Das habe ich tatsächlich schon fast vergessen“, sagte Aharonik. „Das wäre mir ziemlich überflüssig gewesen.“
„Aber bevor er gestürzt wurde, hat er dir noch etwas über die diplomatische Post geschickt“, fuhr Rosen weiter. „Ich weiß nicht, was das ist, es ist eingepackt und geschlossen. Du wirst es morgen erhalten.“
Am nächsten Tag kam ein LKW im Kibbuz an, von dem eine große Holzkiste abgeladen wurde, auf der ein Stempel der zairischen Post glänzte. Die Kiste war an „Herrn Aharon, der Kibbuzsekretär“ adressiert. Sie wurde auf dem Platz vor dem Speisesaal aufgestellt, Gershon, der Schreiner, brachte Werkzeug und begann, die schwere Holzkiste zu öffnen.
Es sammelte sich eine Schar von Neugierigen, die Gershon bei der Arbeit zuschauten.
Als die Kiste endlich geöffnet war, wurde eine neues Fahrrad sichtlich. Die Kibbuzniks besichtigten es und rieben sich die Augen. Das Fahrrad war aus reinem Gold.
Alle waren gespannt. Einige näherten sich, um die Attraktion zu berühren, glaubten ihren Augen nicht. Menachem, der diplomierte Schmied, zog aus seiner Hosentasche eine Messschraube und eine Lupe, kratzte ein wenig, rieb ein wenig, prüfte, maß, und verkündete dann feierlich: „Das Fahrrad ist mit einer 0.25 mm-Schicht von 14-karätigem Gold überzogen.“ Dann zog er aus der anderen Hosentasche einen Schraubenzieher und befreite das Fahrrad von seiner Verpackung.
Aharonik näherte sich dem Fahrrad. Alles war mit Gold überzogen: der Sitz, die Kette, die Reifen, sogar die Klingel. Er bestieg das Rad und fuhr ein bisschen herum, das Schutzblech rieb sich nicht am Rad, der Seitenständer wackelte nicht. Das Fahrrad glitt lautlos auf dem Beton, wie ein goldener Blitz zwischen den grünen Rasenflächen.
Dann kam er zurück und sagte den Kibbuzniks: „Da es sich nicht gehört, dass der Kibbuzsekretär auf einem goldenen Fahrrad herumfahre, berufe ich eine Mitgliederversammlung, heute Abend, und wir werden entscheiden, was wir mit dem Fahrrad machen.“
Die alte Baracke des Speiseaals war bis zum Bersten voll. Viele der Kibbuzniks standen an den Wänden. Die Extra-Schichten wurden annulliert, die Kinder wurden früh ins Bett gebracht, wer außerhalb des Kibbuz arbeitete, kam frühzeitig nach Hause, Mitglieder im Urlaub kamen angefahren. Alle wollten das Wunder betrachten und an der Entscheidung teilhaben. Noch nie waren die Kibbuzniks so aufgeregt gewesen.
Das glänzende Fahrrad wurde in der Ecke des Saales aufgestellt, eingezäunt, damit es nicht von neugierigen und unvorsichtigen Händen beschädigt würde.
Aharonik stand auf, räusperte sich und begann: „Das Gerücht über das Fahrrad hat sich schon im ganzen Land verbreitet. Wir haben eine Quarantäne auf den Kibbuz erlassen und mussten Zeitungs- und Fernsehreporter entfernen, die auch in diesem Augenblick an der Straße warten. Ein Sicherheitsdienst sorgt dafür, dass sich niemand hineinschleiche. Wir müssen eine schnelle Entscheidung fassen, denn es ist klar, dass viele Gefahren uns drohen.“
Israel, der älteste Kibbuznik, bat um Rederecht. „Das Fahrrad gehört uns“, sagte er. „Unser Mitglied Aharonik, der Sekretär, hat es erhalten. Da es sich um eine Habe von großem Wert handelt, müssen Entscheidungen gefällt werden. Das Fahrrad gehört dem Kibbuz.“
„Na gut, aber was soll der Kibbuz damit machen?“ fragte Mascha.
„Man muss es verkaufen und den Kibbuzniks das Geld verteilen“, rief Nachumik.
„Ich finde“, sagte Zwi und stand auf, „jeder Kibbuznik sollte das Rad für eine Woche lang erhalten und so auch wertvoll sein.“
„Genossen“, erstickte Aharonik die sich erhitzende Diskussion, „ihr vergesst, dass an jedem Tag, an dem das Fahrrad bei uns ist, die Gefahren sich vermehren, es werden Verbrecherorganisationen kommen, oder einfache Diebe. Herr Rosen vom Außenministerium sitzt hier neben mir, und ich gebe ihm das Wort.“
Rosen stand auf, streifte seine Jacke ab und öffnete den obersten Knopf seines Hemdes. „Schalom allen Genossen“, sagte er. „Ihr seid mit einem wunderbaren Menschen in eurer Mitte gesegnet, Aharonik, eurem Sekretär, den Mobuto, der ehemalige Präsident von Zaire, in sein Herz geschlossen hat. Das Geschenk, das Herr Mobuto Aharonik geschickt hat, ist wertvoll in einem außerordentlichen Maße. Der Berufsbeamtenausschuss ist an Regeln gebunden, was Geschenke anbelangt, die ein Beamter erhält.“ Er machte eine kleine Pause und trank vom Glas Wasser, das vor ihm stand. „Aharonik ist zwar kein Beamter, aber in dieser speziellen Situation handelte er als offizieller Gastgeber von Herrn Mobuto. Deswegen gehört er in diese Kategorie. Es wird eine interministerielle Kommission einberufen werden, die über das Schicksal des Geschenkes entscheiden wird. Inzwischen wird das Fahrrad dem Generalvormund für herrenloses Gut des Staates Israel überführt.“ Er wischte sich seine Stirn mit einem Taschentuch ab und fuhr weiter. „Ihr müsst dar Rad wieder einpacken und in die Kiste schließen, unter Aufsicht der Beamten meines Ministeriums, die hier darauf warten. Morgen wird ein LKW kommen und die Kiste nach Jerusalem bringen.“ Er beendete seine Worte und setzte sich.
„So eine Frechheit!“ schrie einer der Kibbuzniks. „Halsabschneider!“ rief ein anderer.
„Genossen, Genossen“, versuchte Aharonik die Gemeinde zu beruhigen. „Es gibt Regeln im Staat, und wir können nicht anders, als gemäß diesen Regeln handeln.“
In verschiedenen Gruppen standen die Kibbuzniks nach der Versammlung noch zusammen, und die Diskussionen dauerten bis in die späten Nachtstunden fort.
Das Fahrrad wurde vom Schmied Menachem wieder in der Kiste befestigt, unter Aufsicht der Beamten des Außenministeriums. Die Kiste wurde verschlossen und in das Lager der Schmiede gebracht, das auch abgeschlossen wurde. Die Schlüssel übergab Aharonik Herrn Rosen, der in seinen Wagen stieg und davonfuhr. Entsprechend den Vorschriften des Außenministeriums beauftragte Aharonik Kibbuzniks, das Lager zu bewachen. Menachem, der auch verantwortlich für die Sicherheit und Verteidigung des Kibbuz war, machte die Wachliste und setzte sich selbst oben auf die Liste. Er kam spät in der Nacht nach Hause und sank erschöpft aufs Bett.
Am nächsten Morgen kam der LKW. Der Fahrer klaubte aus seiner Hosentasche den Schlüssel und öffnete das Lager. Zwei Hilfsarbeiter hievten die Kiste auf den Lastwagen, der dann nach Jerusalem fuhr. Gegen Mittag kam er in Jerusalem an. Die Kiste wurde mit allen Ehren in das Lager des Generalvormunds für herrenloses Gut des Staates Israel gebracht.
Aharonik stand früh auf, wie an jedem Tag, zu seiner Arbeit. Er stieg auf ein schwarz glänzendes Fahrrad und fuhr zum Hühnerstall, eine reibungslose Fahrt.
Eine wunderbare Geschichte, und Allegorie, wie – und wie schnell! – der schnoede Mammon die sozialistischen Ideale der Kibbutzidee zerstoert hat. Uebrigens wusste ich nicht, dass Toilstoj den Kibbutz „erfunden hat“…
Sehr schöne Geschichte.
Wie war das mit der Kibbuzidee und Tolstoj? Tolstoj = Erfinder der Kolchose?