Daria ist Drehbuchautorin, Ran ist Fernsehproduzent. Sie sind einigermaßen glücklich verheiratet, aber nicht miteinander. Ran heuert Daria als Produktionsassistentin, und sie nimmt ihn als Lektor für das Drehbuch, das sie versucht zu schreiben.
„schreiben und stehlen“ ist ein Roman über das Verlangen nach einer wahren und erlösenden Liebe, auch wenn sie erfunden ist. Das steht auch im Zentrum von Darias Drehbuch. Sie wird zur Hauptfigur ihres eigenen Drehbuches, aber schnell erfährt sie, dass diese Diffusion zwischen Dichtung und Wirklichkeit einen Preis hat.
Anat Shawit Pinchassi studierte Psychologie und Kommunikation an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit ihrer Kindheit lebt sie teilweise in Israel und teilweise in den USA. Sie schrieb die Doku-Serie „Kreuzung“ und führte die Regie dazu. In Kalifornien arbeitete sie als Lektorin der Doku-Serie „Roadtrip-Nation“ und als Yogalehrerin.
„schreiben und stehlen“ (Hargol, 2016) ist ihr erstes Buch.
schreiben und stehlen
von Anat Shawit Pinchassi
Übersetzung: Uri Shani
1.
Er liegt auf ihr, nackt bis auf die Jeans, die auf seine Waden heruntergezogen sind, und den ausgeleierten Adidas-Schuhen. Die Sonne brennt, aber die Baumwipfel beschützen sie wie eine Decke. Ihr Blick ist auf sein Gesicht gerichtet. Seine Augen sind geschlossen. Sie sind regungslos, wie in einem Standbild in einem Film, aber es ist keine Szene in einem Film, denn der Film ist tot. Dasselbe könnte man über ihre Geschichte sagen: endgültig tot, für immer beendet. Nur die langsame Bewegung ihrer Unterleiber, hinauf und hinunter, deutet darauf, dass sie leben.
Unter ihrem Rücken ist seine Manchester-Jacke ausgebreitet, mit dem bekannten Geruch, den sie schon acht Monate lang nicht gerochen hat. Die Jacke beschützt sie nicht vor den Stichen der Kiefernnadeln, aber die Erregung vertuscht die Stiche und schiebt jede andere Empfindung beiseite. Das ist er für sie, wie eine Droge, die jeden Schmerz mildert, obschon der Schmerz meistens von ihm herrührte. Aber in diesem Moment ist es leicht, gewisse Dinge zu bezweifeln und anderen eine Bedeutung zu geben.
Zum Beispiel sein Blick, wenn er die Augen öffnet und sie ansieht, dann fällt es ihr schwer, an seiner Ehrlichkeit zu zweifeln. Schwerlich kann sie auch an seinem Arm zweifeln, neben ihrem Kopf, der ihr immens vorkommt, wie eine Mauer, an die man sich lehnen kann. Wie gehört er zu diesem Arm? Der Arm ist eine Wand, aber er selbst war – was? – bestimmt nicht jemand, auf den man sich stützen könnte.
Aber jetzt, melancholisch zart, wie sie ihn nicht in Erinnerung hatte, schiebt er eine Locke von ihrem Gesicht. Ein warmes und süchtig machendes Gefühl verbreitet sich in ihr, ein ermüdender und elektrischer Nebel. Sie schmilzt. Aber sie sagt ihm nicht, dass sie ihn liebt.
Plötzlich versteht sie, sieht es ganz klar, dass sie an einem Wendepunkt stehen. Also liegen. Es ist trotzdem wie eine Szene in einem Film – ein anderer Film, nicht der, den sie schon nicht mehr schreiben wird – die Szene am Schluss, die dem Zuschauer Inspiration und Hoffnung gibt, da die beiden Liebenden sich nach all dieser Zeit wieder treffen, und es trotz allem schaffen, etwas aus dieser kranken und zerstörerischen Beziehung zu retten. Was all die Tage, in denen sie der Lust den Rücken zugewandt hat, löscht, Tage, die zu Wochen und Monaten wurden, und die jetzt einem modernden Komposthaufen in der Ecke eines verlassenen Hofes ähneln.
Oh, mein Gott, Kompost. Warum denkt sie jetzt an Kompost? Sie denkt zu viel, zu viel an ihn. Hat sie denn gar nichts gelernt in all den vergangenen Monaten? Jetzt will sie nicht denken, an nichts, und bestimmt nicht an Kompost, denn gerade jetzt gleitet er wieder hinunter und nimmt sie dorthin, wo sie hinwill – aus sich selbst hinaus. Die Kiefernadeln glänzen über ihr wie Funken. Links und rechts sind irgendwelche goldenen Büsche. Ihre Beine auf seinem Rücken, und alles, was sie will, ist jetzt in seinem Körper versinken, in seinem Geruch, in der bekannten Haut, sich in das Gefühl der Freiheit und der Leere hingeben und nicht versuchen zu verstehen, was zum Teufel sie hier macht, wieder, mit ihm, nackt.
Sie hält inne. Lauscht. Auch er hält inne. Richtet sich auf. Das Klingeln ist schwach. Vielleicht bildet sie es sich nur ein.
„Was?“ Er wendet den Kopf in Richtung Auto. „Das ist nichts. Nur das Telefon.“
Aus dem Augenwinkel sieht sie sein Telefon in Reichweite ihrer Hand, neben den Schlüsseln, auf einem flachen Stein. Hinter ihm, in den Büschen, sieht sie das Auto. Dort, auf dem Rücksitz, in der Ledertasche, liegt ihr Handy begraben, das jetzt aufhört zu klingeln. Und für einen Moment ist alles still. Eine schwarze Vogelschar schwebt lautlos im Himmel, umrandet von den Baumwipfeln. Die Wolken ziehen schnell vorüber. Ruhe. Man hört nichts, auch nicht die Vögel, die die Wolken durchkreuzen.
Und dann wieder das Klingeln, und mit ihm die ganze Tonspur, abgeschnitten und brutal: eine krächzende Krähe, das Brummen von Lastwagen, die auf der Straße dahinsausen, eine weit entfernte Hupe, der verzerrte Klang von ihrem Handy, der eine neue Botschaft bekanntgibt und die hauchdünne Haut all ihrer Erkenntnisse zerreißt. Um sie herum der Geruch von Kiefernadeln und Harz, Feuchtigkeit und Laub. Erde auf ihren Knien, trockene und zerbröckelte. Schwere Erde unter ihrem Rücken. Stiche von spitzigen Kiefernnadeln. Der Weg zum Auto ist nicht mehr als ein Spalt zwischen den Büschen, geschmückt mit Toilettenpapierschnitzeln, Kaugummipackungspapier, Plastiktüten, Blechdosen Kies und getrocknetem, spaltigem Lehm.
Seine breiten Schultern hängen in gerader Linie, wie eine Waage, über ihr, signalisieren ihr Gleichgewicht und Beständigkeit. Sie wägt alles, was sie schon verloren hat, gegen alles, was sie noch nicht verloren hat und vielleicht noch retten kann. Er ist gespannt, über ihr, wartet auf ein Zeichen. Niemand hält dich auf, sagt sein brennender Blick.
Wer bist du? fragt sie sich. Sie sind sich fremd. Sogar jetzt, nach all dieser Zeit. Er dachte bestimmt dasselbe. Sie waren sich immer schon fremd.
Kunst zum Thema Kunst, mit Romantik gepfeffert ist derzeit ein riesiger Trend in Israel (und wohl nicht nur da) – eine der erfolgreichsten Fernsehserien der letzten Zeit war „Hazarot“ (Proben), wo es um ein Paar von Theaterregisseuren geht, die Schluss machen, aber weiterhin ein Theaterstueck produzieren, das eine fiktionalisierte Version ihrer eigenen Beziehung ist (die von zwei Schauspielern gespielt werden, die selbst Beziehungskomplexe haben).
Das scheint auch hier der Fall zu sein, und vielleicht deutet der Titel auf das Meta-Thema hin?
Frage an den Uebersetzer: wie siehst du das als Uebersetzer, der auch Theaterschaffender ist?
Oh, ich mag solche Spiele sehr. Das nennt sich auf deutsch „Selbstbezüglichkeit“. Also zum Beispiel ein Theaterstück, wo es ums Theater geht. Der große Meister in diesem Bereich war Pirandello. Aber auch der größte von allen, Shakespeare, hat das schon gemacht. Und das bekannteste israelische Theaterstück, „Ghetto“ von Sobol, ist ein Stück über das Theater im Ghetto Wilna. Und in der Prosa bedeutet das: Ein Roman, oder eine Geschichte, wo es um das Schreiben geht. Wir haben hier auf Re:Levant – außer diesem Auszug – zum Beispiel auch die Geschichte „das lebendige Wesen“ von Maissoon Assadi. Es gibt Kritiker, die finden, das sei im besten Fall eine Flucht vor der Realität, oder, noch schlimmer: Selbstbefriedigung. Aber das finde ich nicht.
Danke fuer die Antwort! Ich mag diese Spiele auch sehr gerne. Das Buch (von Klaus Mann, dem Sohn von Thomas Mann) – und spaeter der Film (mit dem wunderbaren Klaus Maria Brandauer) – „Mephisto“ ist auch ein mA sehr gelungenes Beispiel fuer „Selbstbezueglichkeit“. Bitte mehr davon!
Ja, ein sehr guter Film!