Der gewaltsame Tod von Solomon Teka am 30.9.2019 führte zu einer neuen Welle des Protestes, die das Land während Wochen aufwühlte.

Der Protest der Äthiopier – 2019

Der gewaltsame Tod von Solomon Teka aus Kiryat Haim, am 30. Juni in den Abendstunden, hat zu einer neuen Welle des Protestes geführt, die das Land aufwühlt.

Hier ein paar Stimmen:

Barko Zaro, äthiopischer Standup-Comedian, Tel-Aviv:

Facebook-Profil von Barko Zaro

„Die Wut, der Schmerz, die Erniedrigung, alles hat sich einfach entladen. Tausende sind auf die Straße, haben Straßen gesperrt, schrien, und es gab natürlich auch solche, die Radau machten und verhaftet wurden.

Alle wussten, dass es kommen würde, alle erwarteten es.

Nach der letzten Demonstration in Tel-Aviv, nachdem einfach nichts geschah, kam ein Polizeioffizier, erschoss einen jungen Äthiopier und entfachte alle die Gefühle, den Frust.

Ich höre überall „bis heute habe ich euch unterstützt, jetzt hasse ich euch“, „ihr wart ok, warum kaputtmachen“, „aber warum Straßen sperren“ und und und…

Ich rede schon gar nicht von den Todeswünschen. Wer von euch hat seine Arbeit niedergelegt und hat sich uns angeschlossen? Nicht einmal euer FB-Profil habt ihr geändert! Also jetzt liebt ihr uns nicht mehr?
Wer dies sagt, hat uns wahrscheinlich auch vorher nicht gemocht.

Dieser Protest hat den Leuten zu verstehen gegeben, dass nur so – und ich sage das mit Schmerzen – sich etwas verändert. Ja, klar, ihr seid wütend, weil ihr stundenlang im Stau standet, aber am Schluss kamt ihr nach Hause.

Für uns ist es nicht natürlich, nach Hause zu kommen, wir können verhaftet werden, oder ermordet.

Aber schaut, immerhin hat der Premierminister etwas gesagt, die Nachrichten beginnen mit der Demo, ausländische Sender berichten darüber.

Sogar IHR redet über den Protest, ja, du, du Wütender, wenn du nicht im Stau hättest warten müssen, hättest du wahrscheinlich gar nicht gewusst, dass ein äthiopischer Jugendlicher von einem Polizisten erschossen wurde, und davor gab es viele andere, die ermordet wurden.

Die Leute sagen, sie seien entsetzt über das Ausmaß des Protestes. Erst jetzt seid ihr entsetzt?

Wart ihr entsetzt, als äthiopische Mütter die Dreimonatsspritze Depo-Provera erhielten, damit sie keine äthiopischen Kinder mehr auf die Welt bringen?

Wart ihr entsetzt, als das Blut, das wir gespendet hatten, in den Müll geschmissen wurde?

Wart ihr entsetzt, als die äthiopischen Kinder nicht im Sommercamp akzeptiert wurden?

Wart ihr entsetzt, als der Offizier seinen Soldaten „dreckiger Nigger“ schimpfte?

Wart ihr vielleicht entsetzt, als der Polizeipräsident sagte, es sei nichts als natürlich, dass wir verdächtiger seien als andere?

Auch nicht? Ja, dann ist es nichts als natürlich, dass ihr entsetzt seid, wenn ein Polizeiauto umgeschmissen wird.

Ihr müsst verstehen, wir sind gegen Gewalt, aber „stiller Protest“, sowas gibt es nicht, das funktioniert nicht, wir habens versucht.

Also Entschuldigung bitte für die Unannehmlichkeit, wir wollen leben.“

Yael Dasta, Anwältin, Hadera:

Facebook-Profil von Yael Dasta

„Diejenigen, die die Randerscheinungen kritisieren, ignorieren die Hauptsache. Sie behaupten, dass wir ihre Unterstützung verloren hätten, denn es sei frech, es zu wagen, sie aus ihrer Gemütlichkeit herauszubewegen.

Das sind genau diejenigen, die dagegen waren, dass wir eingewandert sind.

Das sind diejenigen, die mir auf rabiate paternalistische Weise meinen Namen änderten, den mir meine Eltern gegeben hatten.

Diejenigen, die uns mit der Vorstellung des Schmelztiegels in eine Israelität vereinheitlichten, um unsere Identität auszulöschen und damit ich ihnen angenehm sei.

Diejenigen, die mich nicht in ihrem Kindergarten und nicht in ihrer Schule und nicht in ihrer Universität akzeptierten.

Diejenigen, die sich weigerten, mir eine Wohnung zu vermieten oder zu verkaufen, aus Angst, meine Gegenwart könne ihren Wert verringern.

Diejenigen, die ihr Kind von mir entfernten und nicht wollten, dass ich mit ihm spiele, damit meine Schwarzheit mit all ihrer negativen Attribute ihm nicht Schaden zufüge, obschon er mein Klassenkamerad war.

Diejenigen, die in den Ministerien sitzen, aber mich nicht bedienen, obschon ich eine Nummer genommen habe und Reihe stehe.

Diejenigen, die glauben, ich hätte das elektrische Fahrrad geklaut, obschon ich ihnen die Kaufbescheinigung zeige.

Diejenigen, die keinen einzigen äthiopischen Freund haben, aber sie kennen alle Äthiopier und ihre Oberhäupter und sind ihre Pressesprecher.

Diejenigen, die sehr von mir beeindruckt sind und ein Geschäft mit mir am Telephon machen, aber beim Treffen mit mir kommen ihnen wegen meiner Hautfarbe die Zweifel.

Diejenigen, die mich schon verurteilt haben, bevor ich den Gerichtssaal betreten habe, und der ganze Prozess ist nur Theater, dessen Ende bekannt ist.

Diejenigen, die mich daran hindern, das Wunder, das ich bin, zu verwirklichen, denn sie sitzen auf der gläsernen Decke und drücken sie auf meinen Kopf, damit ich mich ja nicht von meinem Platz bewege.

Das sind die Leute, deren Unterstützung ich verloren habe, die ich ja sowieso nicht hatte!“

Samia Nasser, eine arabische Freundin aus Nazareth, hat folgendes auf Facebook gepostet (alles meine Übersetzung): „Ich denke, es gibt keinen schlimmeren Rassismus als den auf der Basis der Hautfarbe. Seit wir klein waren, lernten wir rassistische Lieder gegen „die Schwarzen“. Ich erinnere mich, wie viele kleine Kämpfe ich gegen die Jugendleiter in den Sommercamps, bei denen ich mitarbeitete, geführt habe, und ihre Zöglinge sangen ihnen nach: „…die Schwarzen wie die Affen… [auf Arabisch reimt sich das. U.S.]. Und sie verstanden meinen Protest nicht.

Im Museum, in dem ich arbeite, treffen sich arabische Schüler mit hebräischen, darunter auch Äthiopier, und ein Teil der arabischen Schüler rufen die Äthiopier „Nutella“, was sie lustig finden. Vergeblich versuchen wir zu erklären, dass niemand seine Hautfarbe wählt, genauso wenig wie seine Familie und seine nationale Zugehörigkeit.   

Meiner Meinung nach übersteigen die Leiden der Menschen mit dunkler Hautfarbe, im Verlauf der Geschichte, alle anderen Leiden der Menschheit. Ich fühle mich solidarisch mit allen Unterdrückten und mit jedem, der unter Rassismus leidet.“

Uri Shani ist in der Schweiz geboren und lebt seit 35 Jahren in Israel. Er ist professioneller Übersetzer für Literatur aus dem Hebräischen ins Deutsche. Sein "Übersetzer-Credo" könnt ihr im Link nachlesen:

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H.R. Hiegel
5 Jahre

what a sad thing to happen amidst one of the most interesting countries of the world ! Who may be helpful to the politicians responsible for this catastrophe to change minds of the people towards a peaceful future ? Ask the philosophical avantgarde ?

Oded Netivi
Oded Netivi
5 Jahre

Aus dem Roman „Engel am Strand“
Erscheinungstermin Herbst 2019

„Dann kommt sie vermutlich aus einem sicheren Herkunftsland.“
„Ja und nein, Felix, es ist ein sicheres Land und gleichzeitig das einzige auf der Welt, wohin wir sie nicht abschieben können.“
„Was meinst damit?“
„Sie ist Jüdin, eine schwarze Jüdin aus Israel.“
„Na und?“
„Kann man eine Jüdin, die bei uns um Asyl ersucht hatte, aus Deutschland ausweisen? Geht das?“
„Geht nicht.“
„Kann man bei uns in Deutschland Israel als einen Staat bezeichnen, dessen jüdische Einwohner zum Teil fliehen müssen, um sich bei uns als Flüchtlinge anerkennen zu lassen?
„Geht noch weniger.“
„Siehst du.“
„Und was machen wir jetzt, Gerhard?“
„Das, was wir schon seit Monaten machen. Wie nehmen sie fest, sie kommt in Abschiebehaft, verweigert zu unterzeichnen, dass sie freiwillig zurück will und wir lassen sie nach einer Weile wieder laufen.“

(Oded Netivi)

H.R.Hiegel
5 Jahre

wo ist mein Kommentar – versehentlich auf Englisch – geblieben ?
Wie kann man den Politikern helfen, die ja allseits bekannten Gentrifizierungs- , Seggregierungs- und Schwarzes-Schafe-Mechanismen besser zu bearbeiten ? Mir fällt dazu gerade nichts ein. Tut mir leid.

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[…] Zusammengestellt und übersetzt von Uri Shani für: Re:Levant, 04.07.2019 […]

Francois E. Cellier
Francois E. Cellier
4 Jahre

Zu genau diesem Thema wurde gestern im Schweizer Fernsehen eine stündige Dokumentation „no promised land“, passend zur Yahrzeit der Ermordung Salomon’s, gesendet, allerdings, im Gegensatz zu den im Titel geweckten Erwartungen in hebräischem Originalton mit deutschen Untertiteln, die so lausig gemacht wurden (weisse Schrift auf häufig hellem Hintergrund), dass man diese über weite Strecken nicht lesen konnte. Synchronisierung mit Originalton auf dem zweiten Hörkanal, wie dies im Schweizer Fernsehen zu vielen Sendungen angeboten wird, wäre in diesem Fall vorzuziehen gewesen. Die Sendung steht während eines Monats frei zur Verfügung (https://www.srf.ch/play/tv/chfilmszene/video/no-promised-land?urn=urn:srf:video:c4279478-082b-42a7-ab4c-c6511505d395&id=ebe9ce09-2217-4e84-bd5c-25ea7d56839b).

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[…] Ultra-Orthodoxe Juden oder um Äthioper handelt. (Über die Proteste der Äthiopier, siehe diesen Artikel bei Re:Levant) Aber auch von  höheren Stellen der Polizei sowie der Minister für Innensicherheit treten […]

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