Im Buch der Richter (Kapitel 17) steht: „Zu der Zeit war kein König in Israel, und jeder tat, was ihn recht dünkte.“ (Lutherbibel)
Eschkol, ein Jugendlicher, trifft beim Schafschurfest Na’ima, eine taubstumme, wunderschöne Jugendliche. Sie verlieben sich.
Bei einem Brandunglück stirbt Na’imas Vater, und Na’ima ist wie vom Erdboden verschluckt. Eschkol sucht sie, er fühlt, dass sie lebt und auf mysteriöse Art mit ihm Kontakt aufnimmt. Inzwischen stellt sich heraus, dass ein junger Mann aus dem Stamm der Levi das Haus in Brand gesteckt hat, um Nai’ima und ihren Vater zu töten und das Land zu erben. Eschkol findet Na’ima, und sie heiraten, aber damit beginnt die Geschichte erst.
Es folgt ein Auszug aus „Flöte im Uadi“ (2016) von Nurit Shoshani, pensionierte Lehrerin für Literatur und Bibelkunde aus dem Kibbuz Yifat. Das Buch ist kürzlich auf Englisch erschienen.
„Er“ ist wie alle anderen Namen ein biblischer Name. In der Bibel ist Er ein Bruder von Onan und Schela.
Der Flöte Heulen im Tal
von Nurit Shoshani
Übersetzung: Uri Shani
Prolog
Der Wüstensand brannte unter meinen baren Füßen, ich rannte zum Zelt, wo Na’ima lag und ihre Wehen hinausschwieg, und ihre Stummheit erschwerte ihr Leiden. Salzige Feuchtigkeit drang in meine Augen, und mein Schweiß vermischte sich mit den Tränen der Furcht und Bange, die auf meinem Gesicht hinunterflossen. Ich war geblendet vom weißen Sand und von der Sonne, die meinen Körper und meine Innereien verbrannte, meine Zunge war trocken und meine Lippen zerfurcht. Bereit, mein Leben zu geben, stürmte ich ins Zelt, zum Schrei von Na’imas Augen und zum Schweigen ihrer verletzten und vor Schmerz zitternden Lippen. Der Jüngling, der mich vom Felde gerufen hatte, sagte, die Stunde der Geburt sei nahe, so habe ihm die Hebamme gesagt, aber es vergingen viele Stunden, und es war schon Abend, als das wütende Gebrüll des Geborenen endlich ertönte. Na’ima schloss erschöpft die Augen, und meine streichelnde Hand sprach Worte der Anteilnahme zu ihr.
David wurde in das Schweigen geboren, in den Schmerz, in den weißen Sand und in die brennende Sonne, vor es keine Flucht gibt. Seit er vom Stillen entwöhnt war, lief er still im Zelt herum, zupfte an Na’imas Kleid, wenn er etwas wollte, wusste um ihre Stummheit, kannte ihr Schweigen und brach nur in lautes und erregtes Weinen aus, wenn er mich am Eingang des Zeltes erkannte. Viele Male weinte Na’ima mit ihm still, wenn sie seine Tränen sah. Ich beruhigte David mit Worten, deren Klang Trost brachten, und Na’ima mit der Sprache meiner streichelnden Hände.
Als sie zum zweiten Mal schwanger wurde, war David achtzehn Monate alt, sein Haus war kraus, seine braunen Augen sanft, aber auch wachsam, seine kirschenweichen Lippen saugten begierig einen Streifen Stoff, der ganz Teil seiner selbst wurde. In diesem Stoffstreifen fand er Entspannung und Balsam, während seine Mutter mit der täglichen Arbeit beschäftigt war.
Na’ima blickte ihn jeweils betrübt und verängstigt an, wenn er ihr Kleid berührte, ihre Hand, die sein Haar kämmte, und ihre Arme, die ihn umarmten, waren ihm ein Paradies, für das es keines gleichen gab. Er war ein Schweiger, und die ersten Worte, die seinem Mund entglitten, waren verwirrt und gebrochen. Ich bemühte mich sehr um seine Sprache, und ich schaffte es nicht, sie zu verbessern, denn die meiste Zeit verbrachte ich beim Schafhüten und auf dem Feld. Nur am Schabbat konnte ich mich ihm widmen, ihn belehren und ein wenig verwöhnen.
Er, unser zweiter Junge, wurde im Jahr der großen Hungersnot geboren. Wir wanderten nordwärts, grüne Oasen suchend, Futter für das Vieh. Die Brunnen waren fast alle ausgetrocknet, als Na’ima kreißte. Die Hebamme, gesegnet soll sie sein, hatte in einer Wurst Wasser gespeichert, und bewahrte es sauber und klar, während sie die Stunde der Geburt erwartete und alles dafür vorbereitete.
Anders als bei der Geburt von David, kam Er schnell zur Welt, Na’imas Wehen begannen, als die Sonne im Zenit stand, und noch bevor sie sich zum Meer senkte, war der Schrei des Säuglings hörbar, das groß und gesund geboren wurde.
Er begann gierig zu saugen, wenige Stunden nach der Geburt, und es schien, als gäbe es auf der ganzen Welt nicht genug Milch, um ihn zu sättigen. Er forderte seine Speise des Tags und der Nacht, mit gewaltigem Geschrei. Na’ima war ihm ergeben, hielt ihn auf ihrem Schoss, und stillte ihn noch und noch, während David sie betrachtete und sich mit dem Stoffstreifen tröstete, der an seinem Munde hing, und mit Na’imas Hand, die sein Haar kämmte.
Ohne dass wir es spürten, begannen Na’imas Schweigen und Ers Verlangen Davids Selbstsicherheit ins Schwanken zu bringen. Er begann, in einem dunkeln Winkel des Zeltes oder unter einem halbkahlen Strauch in der Nähe des Zeltes in sich zu gehen, saugte still an seinem Stoffstreifen und starrte vor sich hin, bis Na’ima, der seine Abwesenheit auffiel, ihn erschreckt suchte. Sowohl David wie Er hörten nie Na’imas Stimme. All ihr Gespräch mit ihr war durch ihre gesegnete Berührung. David lernte schnell, sich durch den Blick seiner Augen auszudrücken, und es schien, dass sich zwischen ihm und Na’ima eine Beziehung entwickelte, derer es keiner Worte bedurfte. Nicht so Er. Er brauchte verzweifelt eine tröstende Stimme, wenn ihn etwas quälte, und Na’ima konnte ihn nicht aufmuntern. In ihrer Verzweiflung versuchte sie, ihm noch mehr Berührung zu gewähren, noch eine Umarmung, noch ein Streicheln. Jedes Mal versuchte sie, ihre Brust in seinen Mund zu schieben, um ihn zu beruhigen, und er saugte den unendlichen Schatz, wuchs und gedieh schnell.
David und Er, meine Erstgeborenen, die ich liebte – wo seid ihr? Na’ima, die Schweigende, meine wunderbare Frau, deren Augen und Hände uns allen Heil und Trost brachte, warum hast du mich verlassen? In welchen Welten wandert jetzt deine leuchtende Seele, die so viel Schmerz in dieser Welt erfuhr? Wie kann ich Trost finden, da ihr nicht bei mir seid?
Eure Geschichte, die meine Geschichte ist, will ich erzählen, um Balsam für mein Weh und meine Klagen zu finden.
Sehr schoene Geschichte! Verstehe ich richtig, dass sie zu biblischer Zeit sich ereignet?