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Der Mann, der sich für Gott hielt

„Der Mann, der sich für Gott hielt“ (Mendele, 2020) ist die Geschichte von Baruch, der sich für Gott hält, über seine Enttäuschungen, über die Frauen, mit denen er eine Beziehung hat, über Sehawa, Adir und Eilat. Diese vier zeichnen ein Bild des heutigen Israel. Ein kleines Bild, voll von Gelächter und Trauer, ein farbenfrohes Bild, das der Autor mit grauen Bleistiften zeichnete. Das erste der folgenden Kapitel ist ein helleres Bild, das zweite ein dunkleres.

Avi Friede hat in seinem Leben Erfahrung in vielen verschiedenen Berufen gesammelt. Er war Schreiner, Soldat, Computeringenieur, Lastenträger, Maler und mehr. Viele Jahre arbeitete er als Architekt.

„Architektur ist zunächst eine Arbeit, die sich mit Menschen beschäftigt. Ich fühle mit ihnen, bin neugierig auf jede Geschichte und jede Situation, lerne sie kennen und übersetze, was ich über sie gelernt habe, in das Haus, das ich für sie konzipiere. Während vieler Jahre habe ich eine Menge Geschichten über Menschen und die Situationen, in denen sie sich befanden, gesammelt.“

Das Buch ist im selben Jahr unter dem Namen „The Woman in the Reflection“ auf Englisch erschienen.

Zwei Männer, der eine auf einem Höhepunkt, der zweite auf einem Tiefpunkt in seinem Leben. Auszug aus "Der Mann, der sich für Gott hielt" von Avi Friede.

Der Mann, der sich für Gott hielt

von Avi Friede

Übersetzung: Uri Shani

Kapitel 17

Ajelet, nüchtern und klar im Kopf wie immer, trat mittags in Baruchs Büro.

„Kann ich dich zum Abendessen am Freitag einladen?“

Er nickte. Nichts in seinem Gesicht verriet seine Überraschung.

„Um sieben. Du weißt, wo ich wohne.“

Er wusste. Erst vor zwei Wochen hatte er alle Vorstandmitglieder an das hochsichere Kommunikationsnetz angeschlossen, das ihnen ermöglichte, an den Sitzungen von zu Hause teilzunehmen. Er erinnerte sich, dass er außer der Eingangshalle und dem anliegenden Arbeitszimmer nichts von Ajelets Wohnung gesehen hatte.

Der Gedanke an Freitagabend beunruhigte ihn. Er verstand, was sie wollte und glaubte nicht, dass sie einfach einen Abend mit ihm verbringen wollte. Andererseits machte er sich nicht die Illusion, sie sähe in ihm einen Kandidaten für eine Beziehung.

Schließlich beschloss er, sich in das Abenteuer zu stürzen, das ihm das Schicksal auf den Weg gelegt hatte, und daraus das Beste zu machen. Er fürchtete sich noch immer vor ihr, aber er würde jede Möglichkeit kalt und mit Verständnis akzeptieren.

Entgegen seiner Gewohnheit schlief er am Freitagnachmittag bis vier. Dann duschte er und parfümierte sich leicht und schnitt sich sogar die Fingernägel. Um genau sieben Uhr öffnete sich lautlos die Tür des Aufzugs zum luxuriösen Foyer in Tel-Baruch-Nord. Er wandte sich nach links zur Wohnung Nummer 19. Das Foyer war viel größer und pompöser als das enge Treppenhaus in Petach Tikwa. Mit dem Marmor hier könnte er seine ganze Wohnung täfeln. Als er anklopfte, öffnete sich die Tür, und er wurde von einem jungen Mann mit langem Haar und lässigen Kleidern empfangen.

„Ich bin Assaf, Ajelets Sohn.“ Er lächelte und wandte sich nach links, zum Teil der Wohnung, wo Baruch noch nicht gewesen war.

Er trat in ein großes Wohnzimmer, das an einer stilvollen Küche auf der einen Seite und auf der anderen an einer Dachterrasse mit einem Garten grenzte. Ajelet trat aus der Küche. Sie trug enge Jeans und ein schwarzes Hemd, und darüber eine farbige, stilisierte Schürze. Ihr Gesicht war fast nicht geschminkt.

„Wie viel Überraschungen an einem Abend“, sagte er zu sich, als er ihr die Hand drückte. Das Abendessen war köstlich und einfach. Assaf entpuppte sich als ein angenehmer Gesprächspartner. Er studierte konstruktiven Ingenieurbau in Beer Schewa. Die vielen Tätowieren, die aus den Kleidern lugten, erstaunten Baruch und passten nicht zu seinem Bild von einem Ingenieur. Um neun Uhr verabschiedete sich Assaf von beiden und verschwand schnell. Ajelet, mit zwei Tassen Kaffee und einem Lächeln, bedeutete ihm, zum Wohnzimmer zu wechseln.

„Mach den Fernseher an, ich komme gleich“, sagte sie und verschwand in einem der Zimmer.

Er schaute sich um. Die Küche war mit dunkelbraunem Holz getäfelt, das er nicht kannte und ihm gefiel. Der steinerne Boden war hell, die Theke dunkel. Ein paar Bilder, Originale, keine Reproduktionen, hingen an den Wänden. Er versuchte nicht, sie zu verstehen, aber er liebte die Stille, die sie ausdrückten. Eine verborgene Beleuchtung erhellte die Pflanzen auf der Dachterrasse. Als er sich ihnen näherte, kam Ajelet zurück.

„Lady Godiva!“ fuhr ein Gedanke durch seinen Kopf. An ihren Körper schmiegte sich wie eine halbdurchsichtige Wolke ein schwarzer Stoff, durch den ihr schöner Körper zu sehen war. Hauchdünne Unterhosen betonten die gebräunten Hüften.

Er stolperte über die Aluminiumschwelle zwischen dem Wohnzimmer und der Dachterrasse und verlor fast sein Gleichgewicht, aber ihr Lächeln beruhigte ihn. Seit Mittwoch hatte er sich verschiedene mögliche Szenen vorgestellt. Er war überrascht, dass sie schöner war als seine wildesten Fantasien.

Er lächelte.

Sie schenkte rosa Wein in zwei Gläser neben der schwarzen Theke, drehte das Licht im Wohnzimmer herunter und gesellte sich zu ihm auf die weiträumige Dachterrasse. Er erinnerte sich an die Lektionen, die er gelernt hatte. Erste Bedingung für einen Erfolg – Geschwätz und Komplimente.

Er hauchte kleine und angenehme Worte wie Schmetterlinge in die Luft, auf die sie mit Lächeln reagierte. Er lobte ihr schönes Haus, die Mahlzeit, ihren Geschmack und ihre Schönheit…

Der Wein glitzerte rosa, als sie sich anschauten. Sein Geschmack war bitter und süß.

Das Alkohol ließ sie rosa erröten. Der sanfte Wind streichelte ihre Haut. Sie betrachtete ihn und lächelte. Sie war angenehm von ihm überrascht, sie mochte seine Komplimente und sein Lächeln.

Er sah ruhig und sicher aus, als sie ihn ins Schlafzimmer führte. Er ging ihr nach, und neben dem Bett zog er sie an sich. Er erinnerte sich an jede Zeile in den Liebeslektionen. Seine Hände fanden wie von selbst ihre Brüste, ihren Rücken, ihre Hüften. Der Duft ihres Haares war ihm angenehm. Als er sich auf das Bett setzte, machte sie ein kleines Licht an. Als sie sich unter der Decke umarmten, signalisierte er ihr, dass er von nun an die Führung übernehme. Seine Hände, die ihren Körper streichelten, nicht nur ihre Brüste, waren ihr angenehm. Seine Zunge und seine Lippen fanden alle jene Orte, die sie unendlich befriedigten. Als er in sie eindrang, war sie bereit dafür.

Zum ersten Mal war der Mann in ihrem Bett ein anderer als all die anderen Männer, mit denen sie geschlafen hatte. Während Jahren war sie wie ein Blasinstrument in einem Orchester, aus dem die Musiker einen oder zwei Töne ertönen ließen, manchmal spielten sie sogar komplizierte Sequenzen, alle verkrampft vor Lampenfieber, wie vor einem Konzert. Baruch entpuppte sich als ein begabter Musikant, der virtuos ihre Saiten erschwingen ließ und ein ganzes, erfüllendes, erfrischendes und belebendes Werk auf ihr spielte, ein Paganini der Liebhaber, vom ersten Klang und bis zu ihrer ersten Befriedigung seit Jahren in einem Crescendo von Klängen und Gefühlen.

Er war erstaunt, im Lichte der kleinen Kerze eine Träne auf ihrer Wange zu sehen.

Sie war erstaunt, als er aufstand, sich anzog, sie küsste und ging.

Zehnte Lektion im Kurs „Zehn Schritte auf dem Weg zum perfekten Liebhaber“: Er muss wissen, wann er zu gehen hat.

Auf dem Gehsteig vor ihrem Haus schaute er zu den dunklen Fenstern. Er verstand nicht gänzlich, was an diesem Abend geschehen war. Im Auto versuchte er, indem er verschiedene Momente nacherlebte, zu verstehen, was ihn am meisten überrascht hatte. Es war nicht das Vergnügen in Ajelets Bett. Dass so etwas geschehen könnte, hatte er sich schon ein paarmal seit ihrer Einladung am Mittwoch überlegt. Was ihn überraschte, war, wie sie sich ihm hingab, ihm völlig auslieferte und ihm die Führung übergab. Es war ganz anders, als so, wie er sie in der Arbeit kannte. In den Sitzungen, denen er beiwohnte, machte sie allen klar, wer die Oberhand habe. Aber seine Selbstsicherheit ermöglichte ihm, keinen Rückzieher im Bett zu machen.

War es vielleicht sein kleiner Zweifel über seine Liebe zu Sehawa? Er wehrte diesen Gedanken sofort und vehement ab. Er empfand Freude und Befriedigung. Sein ganzes Leben lang hatte er versucht zu verstehen, aber jetzt lächelte er, ohne zu verstehen.

Es war das erste Mal, dass er wirklich eine Frau geliebt hatte. Er genoss das Gefühl. Er konnte zwar Ajelets Bedürfnisse nicht verstehen, aber der Abend war geglückt, und er erhielt eine bedeutende Stärkung in einem zusätzlichen Aspekt seines Daseins.

Er lachte, als er verstand, dass er sich nicht mehr vor ihr fürchtete.

Kapitel 21

Adir konnte nicht einschlafen. Er lag mit seinen dreckigen Hosen auf der IKEA-Matratze. Das Neue und das Alte vermischte sich in seinen Gedanken zu einem einzigen Bild von Scham.

Das Rauschen der Wellen ärgerte ihn. Es wurde ihm übel vom Geruch des Salzes und des Wassers. Das zerfallende Gebäude, das von Gerüchen von alter und verrotteter Lust beherrscht war, brachte ihn zur Verzweiflung.

Das wars also? Dreiundvierzig Jahre, und damit hat sichs? Eine kleine, stinkende Mietwohnung im Hotel Mandarin. Ein übler Job, eine abscheuliche Freundin, ein ekliger und widerlicher Mercedes.

Als er Architektur studierte, las er den „ewigen Quell“ von Ayn Rand. Er stellte sich als Howard Roark vor, erfand eine ganze Reihe von Visionen, in denen er der Held war. Jetzt war er weder einzigartig noch bedeutend, nur noch irgendeiner. Das haute ihn um. Und schlimmer noch: Es langweilte ihn.

Er ärgerte sich.

Er ärgerte sich über seine Mutter. Er ärgerte sich über sich selber. Was hatte er noch zu erwarten? Noch mehr vom Gleichen? Immer wieder erinnerte sich, wie sie ihn anstarrte, als der Fleck auf seiner Hose und der Uringestank ihn vor aller Welt entblößte. Er konnte das Gekicher um ihn herum nicht vergessen. Wie lange würde er brauchen, um den Uringestank aus dem Auto wegzumachen? Auch Ajelet mit den Silikone-Brüsten lachte ihn aus. Warum hatte er nur geschwiegen, anstatt es ihr zurückzuzahlen?  

Die Bilder stiegen hoch, eines nach dem anderen, eine unendliche Reihe von Enttäuschungen.

Die größte von allen war das letzte Bild.

Er, der der Mächtige sein, sogar ein wenig wehtun wollte, hatte plötzlich Angst.

Er hatte auf neue Spiele im schwarz-roten Club gehofft. Spiele mit Sehawa. Und sie lachte ihn aus.

Die Scheinwerfer der Autos, die am Hotel vorbeifuhren, warfen Schattenbilder auf die Zimmerdecke und enthüllten seine Niederträchtigkeit. Das Quietschen des alten Aufzugs tönte wie eine Rüge in seinen Ohren. Sogar das Hotel war verdrossen über ihn.

Seine Beklommenheit ließ nicht nach. Der ätzende Hauch der Verzweiflung bedrückte ihn immer mehr. Wie ein Strudel, der ihn immer tiefer in den Abgrund zog.

Was soll werden?

Noch ein Arbeitstag. Noch ein Lohnzettel, der gerade zum Überleben reichte. Noch eine Frau, die sich an die endlose Reihe von Frauen hintanstellen würde, die er getroffen und verlassen hatte. Er hasste sie und Sehawa.

Diese lächerlichen Plateauschuhe.

Ihre Passivität, wenn er mit ihr schlief.   

Die großen und naiven ärgerlichen Augen. Wie einfach es war, sie zu manipulieren. Sie ist so dumm.

Genug!

Das muss jetzt ein Ende nehmen!

Das erste Schluchzen kam krampfhaft und unterdrückt unter den alten Schamgefühlen heraus, die seine Kehle wie schmerzende Kieselsteine verstopften. Die warmen Tränen spülten und öffneten den Weg, wischten die Scham weg, und das Weinen brach frei und befreiend heraus.

Er wusste nicht, wann er eingeschlafen war.  

Uri Shani ist in der Schweiz geboren und lebt seit 35 Jahren in Israel. Er ist professioneller Übersetzer für Literatur aus dem Hebräischen ins Deutsche. Sein "Übersetzer-Credo" könnt ihr im Link nachlesen:

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