Anat Geri Lackrif, 1960 in Israel geboren, Frau, Dichterin, Schriftstellerin, Photographin, Ehefrau, Mutter und Großmutter. Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.
Ich habe „Vielleicht trotzdem“ aus einem unbändigen Drang während zwei Jahren geschrieben, aus dem Verlangen, eine große Liebe zu dokumentieren und zu verewigen, die überall existieren könnte und trotzdem nirgendswo und nur in dieser Zeit existieren konnte.
Das Buch stellt die Geschichte einer Familie während stürmischer historischer Ereignisse dar, die die Weltgeschichte veränderten, und auch das Schicksal der Figuren im Roman. Bandi wurde 1940 in die ungarischen Armee rekrutiert, wo er ein knappes Jahr diente, bevor die Ungarn alle Juden aus der Armee ausschlossen, ihnen ihre Dienstränge nahmen und sie in Arbeitslager schickte. Frida und Tibi fahren jetzt, im Kapitel 27, von Budapest, wo sie wohnen, nach Prievidza, das zwar bis 1918 zu Ungarn gehörte, aber seit 1939 zum „unabhängigen“ Staat Slowakei gehört. Dort ist Frida geboren, und dort wollen sie ihre Eltern besuchen.
Anat Geri Lackrif: Vielleicht trotzdem
Übersetzung: Uri Shani
Kapitel 27 – Heimkehr
Prievidza, September 1940
Nach den kurzen Ferien musste sich Bandi darauf vorbereiten, zum Militär zurückzukehren. Nur ein Tag blieb ihm noch, und am Morgen dieses Tages spazierten die beiden ein letztes Mal im Park an der Donau, deren Wasser das gefrorene Eis aus dem Schwarzwald mit sich und bis zum Schwarzen Meer in Rumänien brachten.
Am Mittag begleitete Bandi seine Frau und seinen Sohn zum Bahnhof. „Leb wohl, Frida, und pass auf Tibi auf. Du weißt, dass ich diese Fahrt eine schlechte Idee finde. Ich habe ein schlimmes Gefühl, eine Stimme in mir warnt mich davor, Euch fahren zu lassen.“
Frida drückte still seine Hand, gab ihm ein Zeichen, dass Tibi mithöre und dass es besser sei, dem Kind keine Angst einzuflößen. „Alles wird gut werden, Geliebter“, sagte sie im Versuch, den dreien eine unbekümmerte Stimmung zu geben, wie wenn diese Fahrt eine ganz normale wäre, wie wenn sie nur einfach zur Großmutter in die Ferien führen und es keine militärische Besatzung und keinen Grund zur Sorge gäbe.
Bandi hob den Jungen auf seine Arme und umarmte ihn, drückte ihn fest an sein Herz und wollte ihn nicht loslassen. So standen sie alle drei nah beieinander, spürten den Geruch des anderen und atmeten zusammen, als der Zug in den Bahnhof einfuhr.
Die Fahrt dauerte viele Stunden. Frida wusste nicht einmal wie viele, die Uhr hatte sie ja zu Hause gelassen, und auch ihren Ehering. Das war Bandis Idee. Er dachte, es sei besser, nicht mit Schmuckstücken herumzulaufen, wenn alle Wege voll von Soldaten, Landstreicher und Flüchtlingen seien.
Im Zug saßen vor allem Soldaten, sie rauchten, spielten Karten und tranken Wodka aus großen Flaschen. Die Gänge waren mit ihren Tornistern, ihren Waffen und mit weiteren Gegenständen verstopft, die überall herumlagen.
Als Frida, Tibi fest an der Hand haltend, den Zug bestieg, machten ihr einige Soldaten Platz frei und luden sie und das Kind ein, sich neben sie zu setzen. Frida hätte gerne einen anderen Sitzplatz gefunden, fern von den lärmenden und grobschlächtigen Soldaten, aber die Einladung war trotzdem freundlich und sogar höflich, und wegen dieser Mischung wagte sie es nicht, sie abzuweisen.
Aber gleich nachdem sie sich gesetzt hatte, begannen die Soldaten sie zu bedrängen. Sie fragten sie nach ihrem Namen und wandten sich an sie mit herablassenden Bezeichnungen.
„He, Puppe“, sagte einer und beugte sich näher zu ihr hin. „Wohin fährt denn ein schönes Mädchen so ganz allein? Bist du an Gesellschaft interessiert, oder bist du zu überheblich wie alle die Mädchen, die aus der großen Stadt kommen?“
Seine Freunde lachten, und es schien, dass die Szene sie amüsierte. Ein anderer zündete sich eine Zigarette an und reichte sie Frida, und als diese den Kopf schüttelte, versuchten die anderen, sie zu überreden. „Nimm doch einen Zug, Mütterchen“, lachten sie, und der Soldat mit der Zigarette versuchte, ihr diese in den Mund zu stecken. „Wird dir doch nichts passieren.“
Aber da geschah etwas. Und was hier geschah, berührte Frida und erschütterte ihr Herz.
Tibi stand auf und stellte sich in seiner ganzen kleinen Länge auf. Er stützte seine Arme in die Hüften, mit einer Geste der Drohung gegen die Soldaten.
„Ich dürft nicht so zu meiner Mutter sprechen“, sagte er mit klarer und lauter Stimme. „Ihr seid unanständig. Ich werde alles meinem Vater erzählen, und der wird schon wissen, was zu tun ist.“
Zuerst hielten die Soldaten erstaunt inne, dann brachen sie in lautes Gelächter aus, und der mit der Zigarette sagte: „Und was genau wird dein Vater tun? Ha, Knirps? Und wo ist der überhaupt, dass er deine Mutter alleine reisen lässt, in solchen Zeiten? Er ist offenbar nicht so ein Held, wie du gerne glauben möchtest.“
Die Soldaten lachten, aber Tibi fuhr unbeirrt fort. „Mein Vater ist Soldat. Er ist nicht da, weil er uns als Soldat beschützt. Er ist ein Held, und er benimmt sich anständig meiner Mutter gegenüber. Nicht wie ihr“, sagte er stolz und mutig.
„Dein Vater ist Soldat, Junge?“ fragte der Soldat mit der Zigarette und das Gelächter verstummte. Die Soldaten blickten sich verlegen an, und dann fragte einer von ihnen: „Und wo ist er stationiert?“
Auf diese Frage war Tibi nicht vorbereitet, deswegen fragten seine Augen seine Mutter, und sie antwortete an seiner statt.
„Momentan ist er etwa sechzig Kilometer von Budapest stationiert, aber in Kürze wird seine Einheit an die Grenze geschickt. Ich weiß nicht genau wohin.“
„Wenn dem so ist, dann erlauben Sie mir, gnädige Frau, mich zu entschuldigen, in meinem und im Namen meiner dummen Freunde hier“, sagte der Raucher und reichte Frida die Hand. „In aller Ehrlichkeit, wenn wir gewusst hätten, dass hochwürdige Frau die Frau eines Soldaten ist, hätten wir uns so ein Benehmen nicht erlaubt. Entschuldigen sie bitte unsere Frechheit und Unflätigkeit.“
„Ich nehme die Entschuldigung an, weil Sie Soldaten und weit weg von Zuhause seid“, antwortete Frida. „Sie haben bestimmt schon lange Ihre Familien nicht mehr gesehen und haben Ihre Sitten, zu denen Sie als Ungarn wie wir alle erzogen wurden, vergessen.“ Das sagte sie absichtlich so, damit die Soldaten nicht auf den Gedanken kämen, dass sie Juden seien. „Aber ob ich die Frau eines Soldaten bin oder nicht, Sie sollten sich anständig benehmen. Machen Sie sich über niemand lustig. Fahren Sie in Frieden und kehren Sie in Frieden wieder nach Hause zurück.“ Und Frida drückte die ihr gereichte Hand des Soldaten und auch die Hände der anderen jungen Männer, und von da an ließen sie sie in Ruhe.
Sehr interessant und schoen geschrieben!