Eddy Blum, Professor für Anthropologie an der Universität Bar-Ilan, Vater von zwei Kindern, seit kurzem geschieden, sucht Wege, die Routine zu durchbrechen. Durch eine Sex-Internet-Seite trifft er eine wunderschöne und geheimnisvolle femme fatale, die sich als „richtige Königin, jeden Shekel wert und intelligent, an einem völlig hörigen Sklaven interessiert“ vorstellt. Von hier ist der Weg in den Abgrund kurz, und Blums Welt, der sich in der Königin Netz verstrickt, fällt auseinander.
Der Erzähler ist Dr. Yair Gaon. [Gaon heißt wörtlich „Genie“, ist aber auch ein Rabbiner-Titel und ein tatsächlich existierender Familiennamen, zum Beispiel gibt es den bekannten Sänger Yehoram Gaon, der wie Dr. Gaon in Jerusalem aufgewachsen ist.] Gaon ist ein auf Sucht spezialisierter Psychiater, glücklich verheiratet und versucht, Professor Blum aus dem Schlamassel zu retten. In seiner Klinik, im geschlossenen Raum und unter vier Augen, entfaltet Blum langsam, Stück um Stück, die Gründe, wie es zu dieser obsessiven Sucht gekommen ist, die sein Leben zu einer Achterbahn in das Verderben gemacht haben. Wird es Dr. Gaon gelingen?
„Wie Du willst“ (Yediot Sfarim, 2020) ist der zweite Roman für Erwachsene der erfolgreichen Schriftstellerin Michal Hazon, die vor allem Kinder- und Jugendbücher schreibt, nach dem Bestseller „Haus der Geheimnisse“ (Yediot Sfarim, 2014).
Michal Hazon wurde 1961 geboren und schreibt auch Drehbücher. 2016 erhielt sie zwei Preise für ihre Bücher. „Wie du willst“ wird demnächst auch als Kinofilm auf die Leinwand kommen.
Wie du willst
von Michal Hazon
Übersetzung: Uri Shani
Plötzlich hörte ich ein schwaches Klopfen an der Tür.
„Ja!“ rief ich.
Keine Reaktion.
„Sie können hineinkommen!“ sagte ich lauter.
Die Tür öffnete sich zögernd.
Am Eingang stand ein Mann mittlerer Höhe und stark gebaut. Trotz der für diese Saison kühlen Luft, trug er keinen Anzug, keine Weste, nur ein kurzärmliges, braunes, ganz zerknittertes Hemd, an dem man ansah, dass er es schon einige Tage nicht gewechselt hatte.
Der fremde Mann rührte sich nicht von der Stelle. Er nahm tief Luft, schaute sich angestrengt um, als plane er einen olympischen Sprung von einem Sprungbrett, und seine Hände umarmten verkrampft seine schwarze Tasche.
Ich ging zu ihm hin und reichte ihm die Hand.
„Kommen Sie rein, mein Herr, ich bin Doktor Yair Gaon.“
Schließlich machte er zwei Schritte in meine Richtung, sodass ich die Tür schließen konnte.
„Ähh.. freut mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Eddy Blum“, sagte er mit deutlichem amerikanischem Akzent. Er reichte mir eine verschwitzte Hand. „Professor der Anthropologie.“
„Setzen Sie sich, bitte“, lud ich ihn ein, aber es schien, dass er meine Worte nicht hörte. Er schaute sich weiterhin um, nahm nochmals tief Luft, atmete angestrengt aus und biss sich auf die Unterlippe.
„Setzen Sie sich, bitte“, wiederholte ich meine Einladung, diesmal begleitet mit einem Lächeln. Blum setzte sich so, dass sein Hintern ungeduldig auf dem Rand des grünen Ledersessels lauerte, und eines seiner Beine baumelte hin und her. Die Spitze seines Schuhes stieß gegen den Teppich, er war woanders.
Ich schenkte uns beiden Wasser ein und stellte die Gläser vor uns auf den Tisch. „Wie kann ich Ihnen helfen, Professor Blum?“ fragte ich in beruhigendem Ton.
„Da bin ich nicht sicher“, antwortete er unwillig. „Vielleicht war es keine gute Idee hierherzukommen“, gab er von sich und schaute auf die Tür. Es war klar, dass er Lust hatte abzuhauen.
„Beruhigen Sie sich, Sie sind ja erst gekommen. Sie können jederzeit wieder gehen. Sie haben sich die Mühe genommen, zu mir zu kommen, dann wollen wir doch ein wenig miteinander sprechen. Was hat Sie zu mir gebracht?“
„Die Ausbrüche“, sagte er lakonisch.
„Was für Ausbrüche? Wutausbrüche? Gewalt?“
„Ah, nein, nein nein!“ Blum sah fast erschrocken aus, als er das hörte. „Weinausbrüche.“
„Könne Sie bitte ein bisschen erweitern?“
„Unbeherrschbare Weinanfälle. Sie überfallen mich überall und jederzeit. Heute. Im Hörsaal. Vor allen Studenten… ich erinnerte mich an etwas… und es kam heraus. Ich verließ den Hörsaal und ging in die Toilette zum Weinen. Ich konnte nicht aufhören.“
„Wann hat das begonnen, diese Weinausbrüche?“
„Vor ein paar Monaten. Im Februar oder März. Zu Beginn geschah es nur an den Wochenenden. Danach wurden sie immer häufiger….“
Er atmete tief und biss sich dann heftig in die Lippen. Eine Träne kullerte vom Auge auf die Backe und hielt dort. Ich reichte ihm den allzeit bereiten Taschentuschkarton für die Patienten und legte eine Hand auf seine Schulter.
„Woran erinnern Sie sich?“ fragte ich. „Was schmerzt Sie so sehr, dass sie in Tränen ausbrechen?“
Eddy schwieg und sah aus, als könne er nicht antworten. Es kamen immer mehr Tränen. „Eddy, ich bin da für Sie. Ich werde Sie für nichts, in keinem Fall, verurteilen. Sie können sich auf mich verlassen. Sie wissen das, ja?“
Er nickte, wischte sich die Tränen ab und trank Wasser. Dann sagte er: „Ich werde es Ihnen erzählen.“
„Diese ganze… Situation.. begann wegen ihr. Der Königin Hanna.“ Er holte einen Laptop aus seiner abgenutzten Tasche. „Ich habe die ganze Korrespondenz zwischen uns geordnet in meinem Computer. Hier bitte, Sie können lesen.“ Er zeigte auf den schwarzen Computerbildschirm.
„Ziehen Sie es nicht vor, es mir in Ihren Worten zu erzählen?“
„Ich muss zugeben, dass ich so erschöpft bin, dass mir sogar das Sprechen schwerfällt. Es wäre mir lieber, wenn Sie laut vorlesen könnten. Dann verstehen Sie alles in chronologischer Reihenfolge. Und in diesem Fall ist jedes Wort wichtig.“
Ich verstand ihn. Depression führt dazu, dass sich jede Tat wie ein Erklimmen des Everest anfühlt. Ich lächelte wieder, um ihn zu ermuntern, und antwortete:
„Ja sicher, ich habe nichts dagegen. Ich lese von Ihrem Computer vor.“
Er stellte seinen Computer auf meinen Tisch, fuhr ihn hoch und sagte: „Hier bitte. Es ist alles hier.“
Ich schaute auf den Bildschirm. „Eine Online-Dating-Website.“ Ich stellte die Tatsache fest.
„Das ist nicht irgendein ein Online-dating. Das ist nur für Sex“, sagte er und zeigte mit dem Finger. „Drücken Sie hier auf ‚Nachrichten‘.“
Ich tat, wie er mir geheißen, und erhielt den Nachrichtenverlauf. Er atmete tief, wie nach einer großen Anstrengung, und ließ sich auf den Sessel fallen, während ich begann zu lesen:
6. Juni, 21:37 Uhr. Hallo Yul. Das Team begrüßt Dich. Mitgliedsprofil: Ein sehr schöner Professor in den Vierziger Jahren ist daran interessiert, eine machtsüchtige und mutige Königin zum Zweck von gemeinsamem grenzenlosem Spaß kennenzulernen. Totale psychische und physische Hingabe!
Ich blickte ihn fragend an, aber er bedeutete mir mit der Hand weiterzulesen.
Yul bevorzugt: normalen Sex, Herr- und Sklavenbeziehung. Yul ist offen für: versklavt/beherrscht werden, alles geht. Der Partner, den Yul ganz besonders will: eine agressive femme fatale, jemand, der/die Dinge in die Hand nimmt.
Blum stöhnte müde. „Was Sie hier gesehen haben, ist meine „Visitenkarte“. Ich habe es mir lange überlegt, bis ich zum Decknamen Yul gekommen bin.“
„Aber Herr- und Sklaven-Beziehungen? Also Sado-Maso? Warum?“ fragte ich.
Er zuckte mit den Schultern. „Ich suchte einen Reiz. Eine neue Erfahrung. Etwas, das ich noch nie erlebt hatte. Meine sexuelle Erfahrung war ziemlich begrenzt und auf die normalen Dinge beschränkt, und ich beschloss, dass ich etwas Neues versuchen möchte.“
„Aber so etwas?“ Ich war verblüfft. „Die Welt ist voll von Reizen! Warum ausgerechnet das? Ich versuche zu verstehen…“
Er schaute verlegen auf den Boden. „Ich war mir nicht sicher, ob es das war, was ich suchte. Ich wollte nicht leiden, oder so etwas… aber ich wollte eine dominante Frau, eine stürmische. So eine, wie man sie in den Filmen sieht. So eine Hollywood-femme fatale. So eine, die mich anpacken und mit mir machen würde, was sie will. Verstehen Sie?“
„Ich kann das Bedürfnis verstehen, etwas Erregendes zu erleben…“
Er unterbrach mich. Sie müssen verstehen, es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich so etwas tat. Ich bin zwar geschieden, aber ich dachte und wusste noch nicht, wie man so etwas macht… mit anderen Frauen ausgehen. Ich suchte einen Reiz, wie im Lied von Jona Wollach: ‚Man sagt uns, es gäbe anderen Sex‘. Das war es, was ich wollte. Anderen Sex. Sie können es Abenteuerlust nennen. Es gibt solche, die mit fünfzig nach Indien reisen. Ich ging auf eine Sex-dating-Plattform. Verstehen Sie, ich war tot, innerlich. Ich wollte wissen, dass ich noch etwas empfinde, dass ich nicht zu einem… lebenden Toten geworden bin.“
„Lebenden Toten? Wow, so fühlten Sie sich?“
„So fühlte ich mich nach fast zwanzig Jahren Ehe… dass ich ein Zombie geworden war. Ein Roboter, der automatisch funktioniert. Ohne Gefühle. Ohne Bedürfnisse. Ohne Hoffnung. Meine Frau… das heißt, meine Exfrau, sie war die erste Frau, mit der ich Sex gehabt hatte.“
„Können Sie mir in einigen Worten erzählen, warum Sie sich scheiden ließen?“
„Einerseits ist es kompliziert, aber andererseits ist es so einfach. Ich heiratete, weil ich ein Zuhause, eine Familie, regelmäßigem Sex, Kinder wollte.“
„Haben sie ihre Exfrau geliebt?“
„Ich mochte sie, und mit der Zeit war sie auch genug anziehend, dass ich mit ihr schlafen wollte. Aber als wir heirateten, war ich nicht verliebt. Ich war einsam und hatte Bock auf Sex.“
„Was ist also geschehen?“
„Was halt vielfach geschieht. Man lebt sich auseinander. Wir machten beide Jagd auf Karriere. Wir versanken beide in unserer Arbeit. Mit der Zeit wurden die Schweigeminuten länger als diejenigen, in denen wir miteinander sprachen. Wir machten Geld und schliefen fast nie miteinander. Das ist eigentlich die Zusammenfassung meiner gescheiterten Ehe. Eigentlich fühlte ich mich schon nach zwei oder drei Jahren einsam und verdorrt. Alle möglichen depressiven Gedanken überfielen mich, dass ich sozusagen mein Leben verschwende und dass das wirkliche Leben woanders geschehe, und wenn ich mich nicht beeile, verpasse ich es. Es kam mir ein Gefühl von Dringlichkeit hoch, dass die Zeit ausläuft.“ Er dachte einen Moment nach. „Wie soll ich das erklären? Wie in dem bekannten Bild von Dali.“
„Meinen Sie das Gefühl von „jetzt oder nie – it’s now or never“?“ fragte ich.
„Genau!“ rief Blum, glücklich, dass ich ihn verstanden hatte. „Denn, verstehen Sie, nicht alle Gefängnisse haben Wände, Gitter, Schlösser und Bewachungskameras. Es gibt Gefängnisse, die einfach aus…unseren Gewohnheiten gemacht sind, aus den Menschen, mit denen wir leben.“
„Ich verstehe sehr wohl“, antwortete ich. „Das wird Sie wahrscheinlich nicht besänftigen, aber viele Menschen leben mit diesem Gefühl. Viele versuchen mit Hilfe von Fantasien auszubrechen. Andere bauen sich tatsächlich ein doppeltes Leben, und heute ist das ziemlich einfach, mit all den medialen sozialen Netzwerken.“
„Aber ich wollte mir nicht wirklich ein doppeltes Leben erschaffen. Ich wollte einfach.. etwas erleben. Aber anstatt gemütlich mit den Skien den Hang hinunter schlängeln, erhielt ich eine Schneelawine. Einen immer grösser anwachsenden Schneeball, der mich jetzt erdrückt.“
„Sie haben die Kontrolle über ihr Leben verloren“, sagte ich.
Blum nickte. „Sie haben mich verstanden! Ich, Eddy Blum, bin ausgezogen, um anderen Sex zu erleben, aber stattdessen fand ich die Liebe meines Lebens. Ich hätte nicht geglaubt, dass ich so tief sinken würde.“
„Sie haben sich verliebt?“
„Fatal und total! Ich fand die wahre Liebe! Die einmalige und übermächtige Liebe! Ich dachte nicht, dass mir das noch geschehen würde! Mir! Eddy Blum! Dem langweiligen Buben! Dem Spießbürger, der sein ganzes Leben darauf bedacht war, auf Nummer sicher zu gehen, der von den Frauen keines zweiten Blickes würdig war!“ rief er ergriffen. „Ich habe mich verliebt, aber seit sie verschwunden ist, ist mein Leben futsch, und ich will, dass Sie mir helfen, sie zu finden.“
Michal Hazon, Foto: Noah Shahar
Ist der Titel eine Anspielung auf Shakespeare’s „as you like it“?
Die Autorin hat Deine Vermutung bestätigt, da es in „as you like it“ unter anderem auch um Fetischismus geht.
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